Die Bucht des grünen Mondes
Befehl hinter sich. Ein riesenhafter Schwarzer stürzte in eine der Hütten und kam mit einem Stück Segeltuch zurück, das er ihr mit gebührendem Abstand reichte. Amely schlang den fleckigen Stoff um sich. Und fühlte sich danach keineswegs besser. Die Worte, dass sie nach Manaus wollte, blieben ihr im Halse stecken. Sie wusste, sie verlöre doch noch ihre Fassung, spräche sie sie aus.
Auch hierbei half ihr Felipe aus. «Ich bringe Sie nach Hause, Senhora Wittstock.»
«Danke», sagte sie gepresst.
Nach Hause
. Es klang so falsch.
Ruben wickelte die Palmblätter von der Waffe. Revolver. Das war das richtige Wort. Aber wie bediente man ihn? Seine Finger glitten über das kühle Metall, versuchten den Geist darin zu erspüren. Stück für Stück erinnerte er sich. Sein Vater hatte es ihm gezeigt, wie auch ein Mann der Yayasacu seine Söhne frühzeitig den Gebrauch der Waffen lehrte. Er klappte die Trommel auf, prüfte den Sitz der Patronen und verschloss den Revolver wieder. Die Waffe hatte das Unwetter in Amelys Instrumentenkasten gut überstanden; jedoch hatte er nur noch zwei Patronen gefunden. Nun, er wollte sie nicht nutzen müssen; schließlich war er mit Blasrohr und Bogen immer gut ausgekommen. Aber Amely hatte sie in den Wald mitgebracht und er sie entdeckt – einen solchen Wink der Götter missachtete man nicht.
Er schob sie in die Hüftschnürung über seinem Gesäß. Dann wollte er wie gewohnt an das Blasrohr an seiner Seite greifen, ob es auch da war. Seine Finger berührten die alte Schusswunde. Dort pochte das Fleisch und bereitete ihm Schmerzen und Hitze. Ein Tabakgeist könnte helfen, doch er hatte keinen Tabak bei sich. Vielleicht hätte er Amely bitten sollen, wenigstens über der Wunde zu singen – die Geige war ja verloren. Aber sie hielt nichts von solchen Dingen, und er wollte nicht, dass sie sich deshalb sorgte.
Nun war der Geist in der Wunde erwacht. Und plötzlich hämmerte auch sein Lärmgeist mit solcher Inbrunst, dass sich Ruben gegen die Schläfe schlug. Ihm war, als wollten ihn die Götter ermahnen, endlich zu kämpfen.
Die Ameisenkönigin hatte er töten wollen und dann – nichts mehr unternommen. Weshalb nicht? Wahrhaftig, weil Amely es ihm ausgeredet hatte? Oder Rendapu? Kurz nach seiner Rückkehr hatte der Kazike mit ihm gesprochen: «Wir haben dich in die Welt der
Anderen
geschickt, um sie aufzuhalten. Aber du vermochtest es nicht. Wir können die Geisterwelt der Zukunft nicht beeinflussen, das begreife ich jetzt. Auch der Jaguar jagt nur, wenn er Hunger hat oder seine Kinder bedroht sind. Auch der Baum kämpft nicht, weil sich eine Würgefeige auf ihm niedergelassen hat; er wächst wie jeden Tag und fürchtet nicht den drohenden Tod. Wir sorgen uns, wenn die Ernte schlecht ist oder weil die Schwangerschaft einer Frau nicht gut verläuft. Mehr sollte man von einem Menschen nicht an Sorge verlangen. Also geht auch keiner mehr von uns zu den
Anderen
. Wir warten, bis sie kommen.»
Und er, Ruben, war froh um diese Worte gewesen, die ihm die Last von den Schultern nahmen. Was sollte er auch tun, da doch Wittstock keineswegs auf der obersten Stufe des Termitenhügels saß, wie Diego gesagt hatte? Stets hatte er sich gesagt, dass er Amely zuliebe tatenlos blieb. Sein Vater hatte sie zu einer schüchternen Frau gemacht, die sich vor ihrem Schatten ängstigte – sie sollte diesen Menschen vergessen.
Aber vielleicht war das nur die halbe Wahrheit.
Vielleicht hatte mich der Lärmgeist immer nur erinnern wollen, woher ich komme. Und als ich es tat, wollte ich sofort wieder vergessen
.
Wieder schlug er sich gegen den Kopf, diesmal aus Zorn über sich selbst. Von Anfang an war sie klüger als er gewesen! Hatte sie doch darauf gedrängt, dass er sich erinnerte. Und dass er zurückkehrte, vor das Angesicht Wittstocks trat. Wie erleichtert war er gewesen, dass sie es recht bald nicht mehr getan hatte …
Aymáho kuarahy, der Falke, der Verrückte, der einer Herausforderung nicht nur nicht ausweicht, sondern sie sucht – ha, was für eine Lüge! Ich war verrückt, nichts zu tun.
Er schüttelte sich, um den Geist zum Schweigen zu bringen.
Genug davon. Jetzt ist die Zeit zum Jagen
.
Endlich, endlich zog sich der Lärmgeist in seine Tiefen zurück. Fast lautlos huschte Ruben durchs Unterholz zum Sammelplatz, wo Tiacca und die Männer warteten. Mit dem letzten Vorrat an Jenipapo hatten sie sich Flecken auf die Körper geschmiert, um möglichst unsichtbar zu sein. Ein letztes
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