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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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aufhören. Irgendwo heulte ein anderer wie ein Kind. Und aus dem Augenwinkel, während sich jemand auf ihn stürzte, sah er, dass ein Ava einen Ava erschlug.
Ich hätte ahnen müssen, dass das geschieht
, dachte er nüchtern, während er unter dem Angreifer hervorzukriechen versuchte.
Ich habe ja ihre Geschichten gehört und gesehen, wie diese Menschen ihre Seelen verloren
.
    Es war ein Ava, der auf ihm lag und ihn würgte. Ruben griff hinter sich, schaffte es, den Revolver an sich zu nehmen, und hielt ihn an die Schläfe des Mannes. Die zuvor geübten Handbewegungen fielen ihm schwer: den Hahn spannen, den Abzug drücken. Der Kopf erbebte wie von einem Axthieb.
    Der Nächste griff nach ihm. Ruben drückte den Lauf unter das Kinn des Mannes, der sich über ihn beugte. Er starrte in die schreckgeweiteten Augen des jungen Schamanen.
    Der Schuss, der Ta’niema fällte, kam nicht von ihm. Ein Ambue’y stemmte den Stiefel in Ta’niemas Rücken, als wolle er über ihn hinwegsteigen. Der erhitzte Lauf der Flinte stieß gegen Rubens Wange.
    «Wo hast du das Schießeisen her? Gib’s mir; so ein dummes Tier wie du kann damit sowieso nichts anfangen.»
    Die Sprache war nicht die, welche Amely ihn gelehrt hatte. Ruben hatte sie gehört, als er in der Stadt gewesen war, und er meinte sich zu erinnern, dass die meisten Menschen in seines Vaters Haushalt untereinander wie dieser Mann geredet hatten. Vergebens suchte er das brasilianische Wort für
Fahr zur Hölle
. Er reckte den Arm in die Höhe; sein Revolver deutete auf das Herz des Mannes. Es war ihm gleich, ob sein Schuss noch rechtzeitig erwidert werden würde.
    Der
Andere
krächzte und griff sich in den Nacken. So reagierten Menschen, wenn sie hinterrücks ein Blasrohrpfeil getroffen hatte. Schaum troff aus seinem Mund. Seine Augen brachen; er neigte langsam wie ein brechender Baum nach vorne. Mit aller verbliebenen Kraft stieß Ruben die Leiche Ta’niemas von sich, bevor er unter zwei Männern begraben war.
    «Was ist mit dir, Aymáho kuarahy?», höhnte Tiacca, den Blasrohrpfeil triumphierend erhoben. «Musst du dich schon ausruhen?»
    «Tiacca – lauf in – den Wald.» Die Worte kamen schwer – und auf Deutsch. In der Sprache der Ava wollten sie ihm plötzlich nicht einfallen. Er rollte auf den Bauch, wuchtete sich auf die Hände. Mit Mühe schaffte er es auf die Knie und sah hoch. Zwischen Ava und Ambue’y tänzelte Tiacca hin und her, wahrhaftig wie die weibliche Entsprechung Anhangás, des Gottes der Jagd, und verschoss flink ihre Blasrohrpfeile. Sah er Blut auf ihrem Körper? Oder täuschte ihn fremdes Blut, das ihm über die Augen lief? Fahrig wischte er sich über das Gesicht. Als er wieder sehen konnte, war sie in einer Masse wogender Leiber verschwunden, die übereinander herfielen und sich zerfleischten.
    Längst war ihm klar, dass die Yayasacu besiegt waren. Lebte überhaupt noch einer von ihnen? Tiacca – wenigstens sie wollte er nicht in den Tod geführt haben.
    Wo war sie? Er sah nur prügelnde Männer, die sich gegenseitig die schmutzigen Nägel in das Fleisch bohrten. Ketten rasselten, Wasser spritzte, wenn die gepeinigten Ava um sich schlugen. An den Rändern des Kanals standen die Feinde und schossen auf alles, was sich zu ihren Füßen bewegte. Alle brüllten, gleich ob sie töteten oder getötet wurden. Der Wahnsinn ließ auch das Monstrum erwachen. Es gab ein Donnern und Dröhnen von sich. Ruben sah einen Mann im Führerhaus stehen. Falls er nur bezweckt hatte, die Männer aus ihrer Raserei aufzuwecken, so war es misslungen. Auch er griff zum Gewehr, und aus seiner erhöhten Position fand jeder Schuss ein Ziel. Sterbende stürzten in den ausgehobenen Kanal.
    Eine Peitsche klatschte auf Ruben nieder. Der Strang legte sich um seinen Hals. Er wurde die Böschung hinabgerissen. Mit aller Willensanstrengung gelang es ihm, den Revolver in der Hand zu behalten. Weiterzuatmen. Mit der Linken sein Messer zu ziehen. Sein Versuch, das Leder durchzuschneiden, schlug fehl. Dennoch löste sich die Peitsche. Als er sich nach dem Mann umsah, fand er nur eine Leiche.
    Da entdeckte er Tiacca. Auch sie war gefallen und versuchte aus dem Kanal zu kriechen. Der Lauf einer Flinte deutete auf ihre Augen. Verwirrt hielt sie inne.
    Ein Ava stand Ruben im Weg. Mit dem Messer hieb Ruben auf ihn ein, damit er ihm nicht länger die Sicht raubte. Seine andere Hand spannte den Hahn, zielte auf den Ambue’y. Doch der Schuss löste sich nicht. Vielleicht war es die

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