Die Bucht des grünen Mondes
den Schlüssel aus der Tasche seines Hausmantels, öffnete, nahm etwas entgegen und schloss wieder sorgfältig die Tür.
Es war ein leeres, mit einem Korken verschlossenes Glas. Kurz drehte er es hin und her und ließ es in der Manteltasche verschwinden.
Sie hatte sich der unsinnigen Hoffnung hingegeben, er habe sie vergessen. Doch nun setzte er sich wieder zu ihr.
«Ich mag dich doch, Amely-Liebes.» Er sagte es mit dieser schrecklichen gebrochenen Stimme, die Amely für einen Moment glauben ließ, er spräche die Wahrheit. Zumindest glaubte er selbst, was er da sagte. «Ich bin dein Mann; du kannst mich nicht mit deinem Schweigen abspeisen. Es macht mich wahnsinnig.»
Tief drückte sie sich in die Laken, als er sich über sie beugte und kräftig an der Zigarre zog. O Gott, er drohte ihr mit der Glut! Nein, er stand wieder auf, lief umher.
Er
machte sie wahnsinnig, mit seinem Herumgestiefele.
«Kilian …»
«Ja?» Erwartungsvoll kam er wieder zu ihr. Doch sie schwieg. Sie wusste nicht einmal, was sie hatte sagen wollen.
Seufzend setzte er sich wieder, holte das Glas aus dem Hausmantel und stellte es auf ihr Nachttischchen. «Weißt du, was das ist?»
Ein leeres Glas, und du bist irr
. Nein, jetzt sah sie Insekten darin, drei, vier … Ameisen. Riesenameisen.
«Miguel hat die Biester gefangen, um die Schwarze Maria zu erschrecken. Hat ihm außer Prügel aber nichts eingebracht», auflachend schüttelte er das Glas. «Gut, dass er die Tierchen noch nicht ersäuft hat. Sie dürften inzwischen ganz schön wütend sein, meinst du nicht auch? Nun, redest du endlich?»
O ja, sie erkannte, dass es sich um Exemplare der Vierundzwanzig-Stunden-Ameise handelte. Von Ruben wusste sie, dass ihr Stich durchaus weniger schmerzhaft sein konnte als von Herrn Oliveira damals auf der
Amalie
dramatisch beschrieben. Aber vier zur Weißglut gebrachte Exemplare … Himmel.
Kilian drehte das Glas, kniff die Augen zusammen, überlegte vielleicht, ob er nicht längst eine Brille benötigte.
Unsinnigerweise kam ihr ein junger Kilian in den Sinn, ein Kind, das im Sommer Frösche aufblies und im Winter unter dem Weihnachtsbaum Säbel und Trommeln und Kriegsschiffe fand. Wie mochte sein Vater gewesen sein?
«Ich erzähle dir, was im Urwald war», sagte sie. «Wenn du mir von deinen Söhnen erzählst.»
Es war gefährlich, das zu fordern. Es von einem betrunkenen Kilian zu verlangen, kam einem Sprung vom Roten Felsen gleich. Sie wappnete sich gegen einen Hieb, der ihr den Kopf von den Schultern schlagen würde.
Schwer atmend stellte er das Glas zurück. «Was willst du wissen?»
Gar nichts wollte sie wissen. Sie wollte ihm auch nicht helfen, das Lügengebilde, das wie eine Steinmauer auf seiner Seele lag, einzureißen. Dazu bedeutete er ihr nicht mehr genug. Nur Zeit schinden wollte sie. Und ihn leiden sehen, bevor er ihr Leid antat.
«Hast du Ruben geliebt?»
Er kaute auf der halb heruntergebrannten Zigarre. «Frag nach Gero. Nach Kaspar, wenn es sein muss. Aber nicht nach Ruben. Du hast ja genug herumgeschnüffelt – du weißt ganz bestimmt, warum ich die Indios hasse.»
«Denkst du noch an ihn?»
«Gelegentlich!» Wieder nahm er seinen Weg durch das Zimmer auf. Er wandte ihr den Rücken zu, nebelte sich mit stinkendem Qualm ein und zog die Nase hoch. Weinte er tatsächlich? Sie konnte es sich nicht vorstellen. Plötzlich warf er den Rest der Zigarre in einen marmornen Aschenbecher und kehrte zu ihr zurück. Seine Fäuste stießen rechts und links von ihr in die Laken. Dicht über ihr schwebte sein verbrauchtes Gesicht, in das sich ein Lächeln zwang. «Amely-Liebes! Komm, lass uns wieder gut sein. Ja, ja, meine Söhne sind alle tot! Und der hier …» Er schob eine Hand unter ihr Nachthemd, spreizte die Finger über ihrem Bauch, wie um das Kind in Besitz zu nehmen. Die Berührung durchfuhr sie wie ein Peitschenschlag. «Den lassen wir auch tot machen, wenn du ihn bekommen hast. Nun sieh mich nicht so entsetzt an! Bei den Indios, die du so magst, macht man das doch ständig, oder nicht? Und danach fangen wir noch einmal ganz von vorne an. Ich hatte dir doch die kirchliche Hochzeit versprochen – nach Silvester, aber du warst ja dann weg. Die holen wir nach. In Europa, wenn du möchtest. Oder irgendwo anders auf der Welt. Und während der Reise zeugen wir endlich unseren Sohn. Wir könnten auch ein paar Monate nach Nordamerika gehen. Über den Winter! Endlich richtige Jahreszeiten. Schnee, Eislaufen. Wir sehen uns
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