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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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strich ihr mit dem Daumen den glühenden Schweiß von den Lippen.
Sie sind nicht hier
, hörte sie ihn ganz deutlich in ihrem Kopf.
Nur ich bin hier
.
    Aber das stimmte ja auch nicht, das ersehnte sie sich nur. Weil sie anders die Schmerzen nicht ertrüge. In feurigen Wellen flossen sie durch ihren Leib.
    Erinnere dich, als ich verletzt vor dir lag. Ich sah dich, wie du mich jetzt sahst. Dein Anblick half mir. Deine Stimme half mir. Dein Geigenspiel
.
    Ach, spielte er nur …
    Er hob die verschränkten Hände vor den Mund und stieß ein Trillern aus. Sie mochte es, es erinnerte sie an ihre Zeit im Busch. Kilian riss die Hände an die Ohren. Immer noch sah er seinen Sohn nicht. In das Geräusch mischte sich ein Klopfen und Rauschen. Plötzlich fuhr Ruben in die Höhe. Aus seinen Armen wuchsen Federn. Er zerstob in tausend grellfarbige Flecken. Und ganz deutlich, bevor er gänzlich fort war, vernahm sie seine Stimme:
    «Komm, komm, zeig mir dein Gold, Kuñaqaray sai’ya. Lass es aufblitzen.»
    Sie lächelte. Sie hatte ihm nie erzählt, wie sie daran gekommen war.
     
    Die Vierundzwanzig-Stunden-Ameise trug ihren Namen zu Recht, wie Amely am nächsten Tag feststellte. Die Schmerzen waren der Erinnerung an eine Nacht gewichen, wie sie sie nie mehr erleben wollte. Die Einstiche in ihrem Gesicht brannten noch, aber das war auszuhalten. Sie fühlte sich ermattet. Angenehm ermattet, wie nach einem anstrengenden Lauf. Angetan mit einem Fächer und einem Sonnenschirm, spazierte sie durch den Park, stattete den Gräbern einen Besuch ab, betete für die verstorbenen Seelen Kaspars und Geros und für das Wohlergehen Rubens – wo mochte er jetzt sein? – und dass es für ihn und sie irgendwann eine Zukunft – wie sollte das möglich sein? – geben würde. Trotz ihrer ungestillten Sehnsucht fühlte sie sich gut. Das vergällte auch die Erinnerung an den Karneval nicht. Denn Kilian und Felipe waren irgendwohin aufgebrochen; sicherlich zur Baustelle im Oue-Wald. Sollten sie nur ihre Zeit mit diesem sinnlosen Projekt verschwenden! Es war zum Scheitern verurteilt; sie wussten es nur noch nicht.
    Sie setzte sich auf den steinernen Rand des Brunnens. Ein Regenguss ging auf sie nieder; sie hielt das gepeinigte Gesicht in den Himmel. Rasch war ihr cremefarbenes Chiffonkleid durchnässt, sodass die Haut unter ihren Ärmeln zum Vorschein kam. So etwas störte sie längst nicht mehr. Sie stützte die Hände hinter sich auf, schlug unter dem ausladenden Rock ein Bein über das andere und wippte zu einer Melodie aus
La Gioconda
mit dem Fuß, während der Regen stärker wurde und ihre Frisur ruinierte. In Kilians Bibliothek hatte sie eine neue Kostbarkeit entdeckt, ein Grammophon, und den ganzen Morgen daran herumgespielt, als gäbe es sonst nichts. Zwei Gärtner kamen vorüber, unterbrachen ihr Gespräch. Höflich zogen sie die Hüte. Ihre Blicke waren mitleidig – gleich würden sie die Köpfe zusammenstecken und sagen:
Dona Madonna hat sich die Kugel gegeben. Und Dona Amalie kostet’s den Verstand. Die arme Frau
.
    Amely erhob sich, strich den Seidenrock glatt und machte sich auf den Rückweg ins Haus. Nass, wie sie war, ging sie ins Bureau von Herrn Oliveira, der wie üblich fleißig hinter dem Schreibtisch sitzend half, Kilians Vermögen zu mehren. Und wie üblich freute er sich, ihr behilflich sein zu können. Über ihren derangierten Aufzug ging er höflich hinweg. Ebenso über die vergangene Nacht. Das ganze Haus tat so, als sei nichts geschehen. Lediglich die Dienstmädchen schlugen noch tiefer als sonst die Augen nieder, wenn ihre Herrin vorüberkam, und tuschelten hinter ihrem Rücken.
    «Nur eine Kleinigkeit, Senhor Oliveira», sagte sie freundlich. «Wenn Sie bitte meine Reise zur ‹Hütte› vorbereiten würden? Ich möchte mich gerne wieder für ein paar Tage dorthin zurückziehen, und zwar gleich. Es tat so gut das letzte Mal.»
    «Wie Sie wünschen, Senhora Wittstock.» Er wirkte überrumpelt. Als sie wieder draußen war und auf dem Weg in ihr Zimmer, um sich reisefertig zu machen, kam er hinter ihr hergeeilt. «Gestatten Sie, dass ich Sie dorthin begleite.»
    «Warum denn das?»
    «Nun», er rang die Hände. «Senhor da Silva, der auf Sie aufpassen soll, ist ja nicht da. Daher lassen Sie mich das für ihn tun.»
    Sie wandte sich zu ihm um. «Haben Sie mir etwas zu sagen?»
    «Nein.» Er lächelte gequält.
    «Dieses Haus ist ein Haus der Lügen», sagte sie kühl. «Sie gehören genauso dazu. Nur dass Ihnen dazu

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