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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Aymáho noch vor Schreck still gewesen – oder er hatte sie nicht gehört –, schrien und kreischten sie nun, als könnten ihre Stimmen To’anga über das Wasser tragen. Fischleiber sprangen in seiner Nähe. Plötzlich drehte er sich, die Hände in Richtung des Himmels gereckt. Wild begann er mit den Beinen zu strampeln. Gischt spritzte auf, machte den Kampf fast unsichtbar. Blutige Schlieren färbten das trübe Wasser.
    To’anga versank.
     
    Das Gefühl des Triumphs hatte er nur kurz genossen. Nun drückte es auf Aymáhos Schultern wie nasse Erde. Oder war es die Stille? Diese Art der Stille war anders als jene, die er suchte. Niemand redete, niemand klapperte mit Werkzeugen. Kein Lachen, kein Gezeter. Das Dorf lag in Trauer. Und er – er lag in der Hütte eines der Schamanen, um seine Wunden pflegen zu lassen. Da er keine Trauer verspürte, hatte er das Gefühl, ein Geistwesen zu sein, ausgeschlossen vom Stamm.
    Der alte Pinda schlurfte näher und beugte sich über die Hängematte, in der Aymáho lag. Seine Hände berührten die unversehrte Haut rund um die Fleischwunde an der Hüfte. Er drückte zu, und Aymáho spürte das Blut fließen. Der Alte ergriff eine Pinzette und hob sie an die trüben Augen. «Der Geist des Piranhas könnte noch im Fleisch stecken», sagte er, kniff ein Auge zu und bohrte die Pinzette in die Wunde. Aymáho zuckte zusammen. «Aber bisher sehe ich nur Dreck», der Schamane entblößte zwei gelbe Zahnstummel zu einem Grinsen, das wohl beruhigend wirken sollte, und holte ein Steinchen oder einen Erdklumpen heraus.
    Mit geschmeidigen Schritten kam Tiacca unter dem Vorhang des Eingangs hindurch. Aymáho hob sich auf einen Ellbogen. Er hätte es vorgezogen, aufrecht vor ihr zu stehen, aber der Schmerz in der Hüfte und Pindas warnender Blick hielten ihn davon ab, seine missliche Lage zu verändern.
    «Kann ich etwas tun?», fragte sie.
    «O ja.» Schmunzelnd wies Pinda auf eine Schale. «Du kannst ihn waschen. Das gefällt ihm sicher besser, als wenn ich es tue.»
    «Ist dein Herz nicht schwer, Mann der Geister?», fragte die Jägerin mit sichtlicher Verwunderung. Er quälte seine dürren Glieder auf die gestampfte Erde hinunter. Mit gekreuzten Beinen ließ er sich vor einer Grube nieder, in der ein kleines Feuer prasselte. Gemächlich begann er seine Pfeife mit geschnittenen Tabakblättern zu stopfen.
    «Einer muss jetzt frohen Herzens sein, sonst denken die Geister, unser Dorf sei tot.»
    «Aymáho ist bestimmt frohen Herzens.»
    «Findest du? Er sieht nicht danach aus.»
    Fragend blickte sie Aymáho an. Er war froh, ja. Dass sie sein war. Endlich würde sich seine Hütte mit Leben füllen. Es war nicht gut, als Mann allein zu hausen. Tiacca ließ einen Beutel aus Bast von ihrer Schulter gleiten, strich sich die Haare zurück und hob die Schale auf den Arm. Ein Lappen war darin; damit entfernte sie all das Laub, die Ästchen und die Insekten, die noch an seinem Unterleib klebten. Ihre Bewegungen waren sacht; ihre Brüste, eine Handvoll, schwangen leicht. Um die schmalen Hüften hatte sie einen Schurz gewunden, der wie ein Hauch gewebt war und nichts verbarg. Die Bänder aus Schneckenhäusern, mit denen sie Hals und Arme umwunden hatte, versprachen Fruchtbarkeit. Trotz der Schmerzen reagierte sein Körper, was Pinda glucksen und sich tief über seine Pfeife beugen ließ.
    Es war ungewohnt, sie so sanft zu sehen. Im Wald, wenn Anhangá, der Gott der Jagd, über sie kam, war sie eine unerschrockene Raubkatze.
    Pinda schloss die Augen und begann zu summen. Tief sog er den Rauch des Tabaks ein. «Mein Vater hat mich geschickt», sagte Tiacca leise, um ihn nicht zu stören. «Er möchte, dass du zu ihm kommst, sobald du dich stark genug fühlst.»
    Aymáho packte ihren Arm dicht am Ellbogen und zog sie näher. «Wegen uns?»
    «Das weiß ich nicht», erwiderte sie. Es klang ausweichend, und sie hatte sich steif gemacht. Verwirrt ließ er sie los. Er musste vorsichtig sein – sie war wie ein Fisch, den er zwar im Netz hatte, aber der noch leicht entwischen konnte.
    Mittlerweile war der Rauch so dick, dass es ihn in der Kehle kratzte. Tiacca wich zurück, als Pinda sich hochrappelte und wieder über Aymáhos Beine beugte. Er nahm einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife und blies den Rauch über die Wunde. Das tat er mehrmals, während er die Augen geschlossen hielt und das Lied des Tabaks summte, damit der Rauch seine volle Kraft entwickelte. Schließlich richtete er sich auf.
    «Kein

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