Die Bucht des grünen Mondes
um dich trauern muss.»
Aymáho musste die Zähne zusammenbeißen, um eine heftige Erwiderung herunterzuschlucken. Doch jäh war sein Ärger fort, und er wusste nicht, weshalb. Weil dieses faltige, hässliche Gesicht mit der Adlernase, aus der es triefte, trotz dieser unfassbar offenen Worte so unschuldig lächelte wie ein Kind? Dieser Mann war der Herr des Stammes, und was er sagte, galt als weise.
Erneut gaben ihm die Knie nach. «Also töte mich», murmelte er.
«Gut, warte.» Rendapu kehrte in den rückwärtigen Teil seines Hauses zurück; leiser Gesang und das Klappern von tönernen Gefäßen begleiteten seine Vorbereitungen. Ein süßlicher Duft breitete sich in dem weitläufigen Raum aus. Aymáho wurde seltsam ruhig zumute. Er zuckte auch nicht, als er den Kaziken sich wieder nähern hörte. Er hielt nur für einen winzigen Augenblick den Atem an, als sich eine kühle Kupferklinge an seinen Hals schmiegte.
«Es wird weh tun.»
Die Klinge fuhr über seinen Hals. Der Schmerz war brennend, furchtbar, dass es ihn fast zu Boden zwang. Er spürte Blut über seine Brust sickern.
«Es ist nur ein oberflächlicher Schnitt. Nur das Zeichen für die Götter, dass du jetzt des Todes bist.» Rotglänzende Finger tauchten in Aymáhos Blickfeld auf. «Das Messer ist die Kralle des Falken. Er ist es, dein Totemtier, das dich tötet.»
Die Fingerkuppen kreisten über Aymáhos Schultern und verteilten roten Pflanzensaft über den schwarzen Falkenfedern, die man ihm zur Zeit seiner Mannwerdung in die Haut tätowiert hatte. Mehrmals schluckte Aymáho, um seine Fassung zu wahren. Tatsächlich spürte er nie gekannte Verletzlichkeit, und er war kurz davor, sich vor dem Kaziken niederzuwerfen und um Vergebung zu flehen.
Aber das Urteil war nicht mehr umzustoßen. Sein Totemtier war fort.
Zum zweiten Mal an diesem Tag entfernte Aymáho seinen Schmuck, diesmal auf den Wink des Kaziken hin.
«Steh auf, Aymáho kuarahy.»
Aymáho gehorchte und wandte sich ihm zu. Trotz der Lendenschnüre, die er noch um die Hüften trug, kam er sich entblößt und erniedrigt vor. Rendapu wies zum Ausgang.
«Geh, Aymáho. Für zwei Monde weilst du nun nicht mehr unter den Lebenden. Du wirst an den Ort der bösen Geister gehen und zum Beweis, dass du dort warst, einen ihrer Schädel mitbringen. Überlebst du dies, wirst du wieder zum lebendigen Menschen.» Abrupt riss Rendapu den Blick von ihm und kehrte hinter den Vorhang zurück, wo er sich niederließ. Selten – sehr selten – war eine solche Strafe über ein Stammesmitglied verhängt worden, und es lag lange zurück. Dennoch wusste Aymáho, dass, träte er jetzt noch einmal vor den Häuptling, dieser ihn nicht mehr wahrnehmen würde. Er war zum Geist geworden.
Als er ins Sonnenlicht trat, schaute keiner der Menschen auf, niemand schien ihn zu bemerken. Die Ältesten hatten sie bereits unterrichtet. Nur Tiacca, die im Eingang der Schamanenhütte stand, trat hastig in die Dunkelheit zurück. Sähe auch der unerschrockene Pytumby weg? Aymáho hielt nach ihm Ausschau, fand ihn aber nicht. Seine Wangen glühten vor Scham.
Ich werde wiederkehren
, hämmerte es in seinem Kopf.
Ich werde überleben und wiederkehren!
Doch er wusste, dass es einem Todesurteil gleichkam. Was war man ohne Schutzgeist? Selbst wenn man an das Ziel gelangte, war man verloren. Denn dort hauste der grausamste Stamm, den es gab.
9. Kapitel
Es duftete nach Gebäck, Zigarrenrauch und starkem Kaffee. Ventilatoren sirrten, Äffchen – wild oder nicht, das wusste man nie – hockten unter den Tischen und warteten auf Almosen. Niemand störte sich daran, und auch Amely hatte sich fast schon an sie gewöhnt, ebenso an die angenagten Früchte, die sie überall hinterließen. An den Cafétischen saßen gutsituierte Herren, wedelten sich mit ihren Jipijapas Luft ins Gesicht und tranken Cocktails. Eine Frau drückte sich am Eingang herum, geduckt, mit eingeknickten Beinen. Sie war mager, die morsche Kleidung flatterte um ihre Glieder. Das Gesicht wirkte merkwürdig alterslos und war doch von Falten durchzogen. Eine zusammengesunkene Elendsgestalt unbestimmbaren Alters. Den löchrigen Strohhut hielt sie einem Mann hin, der nur angewidert knurrte, ohne von seiner Zeitung aufzusehen.
Amely stellte sich vor, diese Frau mitzunehmen. Ihr eine Arbeit zu geben. Einen guten Schlafplatz. Keine Schläge mehr. Hatte Felipe da Silva das nicht auch getan, mit dem Kautschuksammler Pedro, der jetzt als Stallknecht arbeitete? Maria
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