Die Bucht des grünen Mondes
verbarg jedoch nicht all den Dreck und die Schäbigkeit. Mit dem Knie stieß er gegen die Schulter einer kauernden Frau. Auch sie trug die Kleidung der Ambue’y, nur dass ihre und die ihres Mannes scheußlich zerlumpt war. Dürre Glieder schimmerten durch fadenscheinigen Stoff. Auf ihrer Schulter hockte ein Papagei – seine Farbigkeit wirkte falsch in dieser Umgebung. Sogleich begann sie auf einer Feuerstelle einen Kessel zu heizen. Indes hockte sich der Ava vor seine beiden Gefangenen. Seine Unterwürfigkeit hatte er nun abgeworfen, nicht jedoch seine fahrigen Bewegungen. Als trüge er einen Schreck, den man ihm vor langer Zeit zugefügt hatte, auf ewig mit sich herum. Mit zittrigen Fingern entzündete er einen weißen Stängel, aus dem kleingehäckselter Tabak rieselte, und führte ihn an den Mund.
«Also dann, willkommen in eurem neuen Leben», sagte er in der Sprache der Ava. «Ihr werdet von nun an gefangene Arbeiter sein. Das bedeutet ein paar Jahre schuften und dann den Tod. Ganz, ganz selten, wenn ihr euch willig anstellt, könnt ihr es so gut treffen wie ich; dann besitzt ihr selbst Arbeiter.»
«So gut?», unterbrach ihn Aymáho. «Wo immer du herkommst, niemand dort dürfte so erbärmlich leben wie du jetzt.»
«Dort lebt gar keiner mehr.»
«Also haben die Ambue’y auch deinen Stamm ausgelöscht?»
Glühende Asche fiel auf den Handrücken des Ava, als er kräftig an seinem Stängel zog; er schien es nicht zu bemerken. «Ich war ein Ha’evemi. Der letzte Ha’evemi. So wie ihr die letzten eures Stammes seid.»
Aymáho verzichtete, zu erwähnen, dass der Alte nicht zu den Yayasacu gehörte und diese nach wie vor in ihren abgelegenen Jagdgründen lebten. Gauháta hatte den Kopf zwischen den Knien und summte vor sich hin. Der Ava streifte das glühende Ende seines Stängels über die Schulter des alten Mannes. Nicht einmal ein Zucken folgte.
«Er ist bereits tot», sagte Aymáho. «Sein Geist hat nur seinen Körper noch nicht verlassen.»
«Ist besser für ihn», murmelte der Ava.
«Wie heißt du?»
«Die Ambue’y nennen mich Diego.»
«Ich will
deinen
Namen wissen.»
Schwarze, blutunterlaufene Augen starrten ihn aufgebracht an. «Ich heiße jetzt Diego. Hörst du? Diego!»
Was herrschte hier für ein Irrsinn? Aymáho zerrte an den Fesseln. Bei Tupans Federkrone, er musste es herausfinden!
Die Lederschnüre gruben sich nur mehr in sein Fleisch. Tief atmete er durch. «Erkläre mir alles», stieß er hervor. «Wir kamen bisher mit diesen Menschen nicht in Kontakt. Es gibt nur … Legenden. Was geschieht mit mir? Warum töten sie? Was wollen sie?»
Diego kramte in einer Tasche seiner Beinkleider und förderte ein Messer zutage. Es war nicht aus Kupfer, sondern aus jenem Metall, das ebenfalls in den Legenden über die
Anderen
vorkam. Gelegentlich passierte es, dass Bruchstücke rostiger Eisenklingen durch Tauschhandel in die Tiefen des Waldes gelangten. Man schnitt daraus Pfeilspitzen. Und Aymáho wünschte sich sehnlichst, das Messer ins Herz der Männer draußen zu stoßen.
Er musste es an sich bekommen.
Der Ava schlurfte zur Hüttenwand, wo ungezieferverseuchte Körbe und zerbrochene Kalebassen und Tongefäße gestapelt waren. Mit bebender Hand fuhr er darin herum, hielt derweil seine Frau mit unfreundlich gebellten Worten zur Arbeit an und kehrte mit einem Klumpen zurück, den er auf das Messer gespießt hatte. Dann kauerte er sich wieder vor ihm nieder.
«Darum geht es ihnen. Kauchu. Der Baum, der weint.»
Der Klumpen war lederartig und von dunklem Braun. Diego hob ihn hoch, presste ihn und zog ihn auseinander.
«Irgendwie wissen die Ambue’y, wie man es macht, dass Kauchu immer geschmeidig bleibt, gleich, ob er kalt ist oder erhitzt. Und von solchem Kauchu haben sie unendlich viel Nutzen. Sie machen Dinge daraus …» Er stockte und starrte auf den Klumpen. «Ich weiß nicht, was für welche. Sie erwähnen sie manchmal, aber ich verstehe nie, was das sein soll.»
Unwillkürlich blickte Aymáho zu Gauháta, ob der ebenso erstaunt war wie er selbst. Natürlich begriff der Alte nichts; wahrscheinlich nahm er Diegos Worte gar nicht wahr.
Weshalb lässt der Geist des Kauchu das mit sich machen?
, fragte sich Aymáho.
Sind die Ambue’y tatsächlich Götter?
Nein, nein, nein. Eine innere Stimme sagte ihm, dass es nicht so war. Dass sie in Häusern wohnten, liebten, hassten, krank wurden und starben.
«Sie schicken Leute ihres eigenen Volkes in die Wälder, um den Kauchu zu ernten.
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