Die Bucht des grünen Mondes
Aber sie sind so gierig, es ist ihnen nie genug. Jeder, dessen sie habhaft werden, wird zur Arbeit gezwungen. Man wird losgeschickt, Tag um Tag, sogar nachts; mit einem Eimer rennt man durch den Wald, sucht in dem Gewirr die verstreuten Bäume des Kauchu und sammelt dessen Tränen. Ist der Eimer voll, bringt man ihn zu einem Sammelplatz. Dort warten Boote, die bringen ihn fort, in die Städte, auf große Boote, dann auf Schiffe, die Schiffe bringen ihn übers Meer nach Europa …»
Der Ava flocht Begriffe ein, die Aymáho nicht kannte.
Städte, Schiffe, Europa
… Er hatte Mühe, das Gerede zu durchschauen, und doch begriff er. Die
Anderen
begehrten den Kauchu, und darum geschah dies alles.
«Du wirst kein Sammler, dich werden sie zu irgendetwas anderem zwingen. Vielleicht zum Straßenbau.»
«Straßen …»
«Große, breite Wege. Oh, es gibt viele unterschiedliche Arbeiten! Die Frauen der Ava pfercht man in großen Häusern zusammen. Dort müssen sie jedem, der bezahlen kann, zu Willen sein. Und Ava, die zu nichts nütze sind, werden umgebracht. Oder weil sie dort leben, wo die weinenden Bäume stehen. Oder auch einfach so.» Diego beugte sich vor; seine Nase war nur eine Handbreit von Aymáhos Augen entfernt. «Weißt du, was ich gesehen habe?», fragte er leise. «Willst du’s hören?»
Aymáho nickte. Alles wollte er wissen.
«Ich habe gesehen, wie sie Männer an Bäume gebunden und ihre Schwänze weggeschossen haben. Den Frauen haben sie vorher die Lippen zugenäht, damit sie zu kreischen aufhören. Dem Kaziken haben sie kochendes Öl in die Ohren gegossen. Und ihn dann gehäutet.»
So unwirklich all das klang, Aymáho bezweifelte nichts davon. «Und weshalb haben sich dich verschont?»
«Habe ich gesagt, sie hätten das?»
Diego fauchte über die Schulter der Frau zu, sie möge sich beeilen. Mittlerweile begann sich beißender Geruch in der Hütte auszubreiten.
«Wird nicht gerade angenehm für dich werden, wenn ich dich mit dem kochenden Zeug putze.» Er lächelte in sich hinein. «Aber glaub mir, es gibt Schlimmeres.»
«Ich glaube dir. Wie kann man die Ambue’y aufhalten? Sind es Götter?»
Heiser lachte Diego. «Nein. Nein, ich glaube nicht. Aber halte die Regenzeit auf. Oder den Weg der Ameisen. Es ist nicht möglich.»
«Es sei denn, man tötet die Herrin der Ameisen. Sicherlich haben auch die Ambue’y einen Häuptling.»
«Ja, sicher, der Bärtige dort draußen, Postiga heißt er», Diego nickte in Richtung des Bootes, wo die Fremden im Schatten ihrer Plane hockten und sich unterhielten und lachten. «Der ist für uns der Häuptling. Aber in seiner Welt ist er nur irgendein Mann, und er hat selbst einen Häuptling. Den nennt er Benito. Der wiederum ist ein Wurm im Vergleich zu anderen Häuptlingen. So ist das bei den Ambue’y. Einer steht über dem anderen, wie die Stufen eines Termitenhügels, und oben ist nur noch Platz für einen.»
«Wie heißt dieser eine, und wo ist er?»
«Was nützt es dir, das zu wissen?»
«Ich werde ihn töten.»
Diego gluckste. «Ja, versuch’s nur. Er heißt Wittstock.»
Wittstock lebte in einem Haus, rosafarben wie die Blüten der Siyuoca, in der großen Stadt namens Manaus. Mehr wusste Diego nicht über ihn zu sagen. Es war der seltsam klingende Name, der Aymáho erschrak – war er nicht doch ein Gott? Ließ er sich töten? Flüsternd versuchte er den Namen auszusprechen. Die harten Silben kamen nur widerwillig über seine Lippen. Ein Bild dieses Mannes entstand ganz unwillkürlich; es ähnelte denen dort draußen und war doch anders.
Aymáho lehnte sich an die Wand, atmete tief durch und genoss das wohltuende Gefühl des Hasses, das durch seinen Körper strömte.
Witt-stock, Ameisenkönigin der Anderen, ich werde dich töten
.
Diego erhob sich, warf den Klumpen in irgendeine Ecke und stieß die Frau vom Kessel fort. Sie kauerte sich nieder und drückte das Gesicht auf die Knie. Statt ihrer sah Aymáho Tiacca dort knien, ihres Wesens beraubt. Der Papagei war aufgeflattert und ließ sich auf einer Kalebasse nieder. Wie alles hier war er schäbig und zerrupft. Aymáho dachte, dass das Tier leicht flüchten könnte. Aber wie der Mann und die Frau wusste es nicht mehr, wie sich Freiheit anfühlte. Als hätten die Ambue’y eine Krankheit mit sich gebracht, die das Wesen der Ava zerstörte.
Diego fuhr mit einer Schale durch den Kessel. Das dampfende Gebräu, das er brachte, trieb Aymáho die Tränen in die Augen. Er presste die Zähne
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