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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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sich, wieder die Jägerin in ihr sehen zu können. Ihre geschmeidige, muskulöse Gestalt zu betrachten. Ihre gehärteten Gesichtszüge, wenn sie sich auf den Schuss konzentrierte.
    Ihre Zurückweisung hatte ihn bis in seine Träume geplagt. Doch seit seiner Verbannung war es anders. Als sei das Bedürfnis, eine Gefährtin zu finden, unter der Last seiner Aufgabe zermalmt worden.
    Ich werde wohl noch als Greis eine leere Hütte haben
.
    Tag um Tag verging. Tag um Tag ging es nach Süden. Der Weiße Fluss mündete in den Schwarzen Fluss. Dann wieder war es eine endlose Zeit, als führen sie nicht auf dem Fluss, sondern durch Netze von Igarapés, die sonstwohin führten. Oft mussten sie ihre Einbäume über Sandbänke und durch Inselwälder tragen. Der Schwarze Fluss verbreiterte sich; der Tungara’y, der Große Schlangenfluss, war nicht mehr fern. Zusehends entdeckten sie Hütten an den Ufern, die wie jene, in der Aymáho gefangengehalten worden war, auf Pfählen standen. Die Menschen sahen aus wie Ava, doch ihre Körper waren von Stoffen eingehüllt.
    «Warum tun sie das?», fragte Tiacca angewidert.
    Aymáho wusste es nicht. Manchen stand deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie sich mit den
Anderen
vermischt hatten. Und wenn dann Aymáho zur Seite blickte, zu seinen Begleitern, sah er in deren Augen das gleiche Unverständnis, wie es wohl in seinen zu lesen war.
    Man ließ sie ungehindert ihres Weges ziehen. Kinder deuteten auf sie, Frauen starrten, Fischer stießen gelegentlich unfreundliche Worte hervor, wenn die Einbäume ihre Wege kreuzten.
    Aymáho könnte sie fragen, wie es war in der
Stadt
. Doch es widerstrebte ihm. Was Diego ihm erzählt hatte, musste genügen; er wollte den Kontakt mit diesen Leuten nicht. Er würde zur Ameisenkönigin vordringen, ihren Schädel herausschneiden und wieder verschwinden, schnell und leicht wie ein Geist. Dann wäre die Bedrohung für sein Volk dahin, und er würde vergessen, wo er gewesen war.
    Sie fanden eine markante Stelle am Ufer, dort verbargen sie die Einbäume. Große Imbauba-Bäume wuchsen ringsum. Pytumby schöpfte von dem schwarzen Wasser und ließ es durch seine Finger tröpfeln. «Der Schwarze Fluss trifft auf die Große Schlange – in weniger als einem halben Tag, schätze ich», sagte der kräftige Jäger. «Und dort soll der große Ort sein, von dem du erzählt hast?»
    Aymáho nickte. «So hat man es mir gesagt.»
    «Ich würde ihn gerne sehen», sagte Tiacca und fing sich einen scharfen Blick von ihm ein.
    «Ihr werdet alle hier warten», beschied Aymáho. «Nur einer allein kann unbemerkt in den Ameisenbau vordringen. Gebt mir drei Tage. Bin ich dann nicht hier, kehrt zurück und wartet auf einen, der vielleicht irgendwann imstande ist, es zu tun.»
    Er berührte die Hände der Männer und Tiaccas, deren Blick fast wehmütig war. Im nächsten Augenblick hatten sie sich im Unterholz verborgen. Er lenkte seinen leichten Einbaum in die Strömung zurück.
    Zunächst hatte er den Eindruck, dass sich niemals etwas verändern würde. Gleichmütig floss das Wasser dahin, und die Hütten der Mischlinge wurden wieder spärlicher. Irgendwann jedoch nahm er einen veränderten Geruch wahr, den er nicht zu deuten wusste. Das Rauschen des Flusses, das Lärmen der Affen und Vögel, all die gewohnten Geräusche des Waldes wurden überlagert von einem eigenartigen Ton. Ein Rauschen über dem Rauschen, wie von tausend und abertausend Stimmen erzeugt. Aymáho erwartete jeden Augenblick, eine Unzahl von
Anderen
herbeistürmen zu sehen. Doch was er sah, war ein auf dem Bauch schwimmender Menschenkörper, der an seinem Boot vorbeidümpelte. Mit dem Paddel stieß er ihn an. Kein Leben war mehr darin. Der Aasgeruch verstärkte sich. Und plötzlich glitt Aymáhos Einbaum durch einen Fluss aus Unrat. Sein Bug teilte eine riesige, wie gewebte Matte aus verdorrten Blättern und Holz, Abfall von Früchten, Fischkadavern, Kot und Dingen, die er nicht kannte. Noch eine menschliche Leiche. Ein Gebilde, das eine zusammengebrochene Pfahlhütte gewesen sein mochte.
    Er musste einem riesigen Boot ausweichen. Es war ähnlich raumgreifend wie jenes, auf dem er entführt worden war. Die Ambue’y taten so, als sei er nichts als ein Stück Treibholz. Andere Boote, kleinere und sogar weit größere, glitten näher. Sie alle zogen unbeeindruckt ihre Bahnen. Es herrschte ein Gewirr von Lauten; tausend Menschen auf dem Fluss schienen gleichzeitig zu schreien, zu toben und zu plappern. Und

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