Die Bucht des grünen Mondes
ergriff eine andere, diesmal in Hüfthöhe. Nichts als graues Pulver schien sich in der Schale zu befinden. Unscheinbare Asche zunächst. Doch der Epena-Geist ließ sie tanzen und flirren. Aymáho schlug das Herz vor Erregung. Er war sich sicher, würde er diesen Staub berühren, wäre die Haut seiner Finger auf ewig geschädigt von der Macht dieses Kriegers.
«Dies ist die Asche von Nandejára», erklärte Oa’poja. «Er war einer der weisesten und ältesten Männer der Yayasacu. Erinnert euch an die Geschichten über ihn. Und an die, welche er erzählte.»
Auch diesen Mann hatte Aymáho nie kennengelernt – Nandejára hatte vor dreihundert Jahren gelebt. Die Existenz seiner Asche war der Beweis, dass die Yayasacu selbst uralt waren. Auch aus diesem Gefäß holte Oa’poja ein wenig Asche und gab sie in die Schale.
Mit beiden Händen trug der Schamane eine dritte Urne heran. Aymáho hörte die Männer erschrocken einatmen. Ein kurzer Blickwechsel mit dem ebenso schweißüberströmten Kaziken, der knapp nickte. Behutsam setzte Oa’poja die Urne auf den Holzstumpf; ebenso behutsam drehte er den Stopfen heraus. Die Öffnung war größer, er konnte mit der ganzen Hand hineinlangen. Was er hervorholte, war jedoch kein Staub.
Es war eine Haarsträhne von der Farbe der Sonne.
Zwischen zwei Finger gespannt, hob er sie in einen Lichtstrahl, der sie aufleuchten ließ. «Es war Py’aguãsu, der vor langer Zeit mit einigen großen Kriegern in den Kampf mit den wilden Huascúri zog. Sie töteten zwanzig der feindlichen Männer und brachten den Jungen mit, dem dieses Haar gehörte. Wie er ans Affenvolk geriet, erfuhren wir nie – vielleicht hatten sie ihn seines Haares wegen geraubt. Vielleicht hatte er sich verirrt und war von ihnen aufgegriffen worden. Er war schmutzig und verwirrt. Neun oder zehn Jahre alt mochte er gewesen sein – sofern das Alter eines Kindes der
Anderen
ähnlich einzuschätzen ist wie das unserer Kinder. Ihr kennt die weitere Geschichte: Der Junge brachte einen Fluch über unseren Stamm. Viele starben an einem unbekannten Leiden. Auch Py’aguãsu. Und so töteten wir den Jungen.»
Aymáho sah auf. Eine Affenherde kam in die Kronen der Bäume dicht am Wasser geprescht und kreischte, dass es in den Ohren gellte. Vorsorglich lenkte er seinen Einbaum ein Stück vom Ufer fort, um den mitunter tödlichen Kokosnusswürfen zu entgehen. Weiter voraus glitt ein Krokodil ins Wasser, hielt die Augen dicht über der Wasseroberfläche und beobachtete, was er tat. Er paddelte ruhig, verschwendete keinen Gedanken an die Piranhas, die sein Boot umschwärmten. Die Strömung war ruhig. Das Gebiet ansonsten friedlich.
Seine Gedanken glitten zurück zu der Zeremonie. Sogar jetzt noch, zwei Tage danach, spürte er den grässlichen Geschmack im Mund. Der Schamane hatte sein Kupfermesser gezogen, die Haarsträhne des Kindes in winzige Stücke zerschnitten und sie in die Schale gestreut. Die Daunen starker Vögel und Haarbüschel mächtiger Raubtiere waren gefolgt.
Und auch eine schwarze Strähne seines, Aymáhos, Haares. Aus einer Kalebasse hatte Oa’poja Wasser hineingegossen und alles mit den Fingern verrührt.
«Die Stärke eines mächtigen Kriegers, die Klugheit des größten Weisen, die Seele eines Menschen der
Anderen
– dies alles wird dir bei deiner Aufgabe helfen, Aymáho.»
Aymáho hatte die Schale in Empfang genommen und, ohne zu zögern, an die Lippen gesetzt. Es war eine beachtliche Menge gewesen, breiig und von abstoßendem Geschmack. Trotzdem hatte er es geschafft, die Schale in einem Zug zu leeren; und er war nur froh gewesen, dass ihn der Schamane danach Wasser aus der Kalebasse trinken ließ.
Er war hinausgewankt, sicher, dass er den Trank erbrechen musste. Doch das war nicht geschehen. Ein Zeichen, dass die drei Totengeister ihm tatsächlich helfen würden.
Den Geist des Kindes der Ambue’y in sich zu haben, verursachte ihm jedoch immer noch Übelkeit.
Dicht vor dem Bug klatschte eine Kokosnuss ins Wasser.
Sei aufmerksamer
, ermahnte er sich. Noch während er nach seinem Bogen griff, kreischte der Affe auf und fiel, von einem Pfeil durchbohrt, in den Fluss. Aymáho blickte über die Schulter. Aufrecht stand Tiacca in ihrem Einbaum; langsam ließ sie ihren Bogen sinken. Dankend nickte er ihr zu, und sie setzte sich wieder und ergriff ihr Paddel. Hinter ihr ruderten zwei Krieger in einem größeren Einbaum – sie alle wollten Aymáho so weit wie möglich begleiten.
Er freute
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