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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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niemand – niemand – schenkte ihm einen Blick, der anders als verächtlich oder gleichgültig war. Er hatte seine Haare zu einem Knoten aufgesteckt und mit der roten Federkrone der Krieger umwunden. Dazu hatte er das Gesicht und den Oberkörper mit roter Farbe verziert. Überall hätte man ihn als stolzen, erfolgreichen Krieger wahrgenommen. Offenbar galt hier ein Ava-Krieger nichts. Nun gut. Er beschloss, die Überheblichkeit der
Anderen
als Vorteil zu werten. Sobald es zum Kampf kam, würden sie über ihren Stolz stolpern.
    Doch inmitten dieses fremdartigen Gewirrs zu paddeln, das einen einzelnen Mann jederzeit erdrücken konnte, dämpfte den eigenen Stolz. Ihm brach der Schweiß aus; die strenge Luft ließ sich nicht atmen. Sein Einbaum wurde gerammt, und er schaffte es gerade noch, ihn aufrecht zu halten. Linkerhand glitt die unglaubliche Stadt an ihm vorbei. Sie war endlos. Den Blick ständig zwischen dem Fluss und der steinernen Mauer wechselnd, an der unzählige Boote angelegt hatten, suchte er nach dem rosafarbenen Haus. Aber es gab so viele Häuser in so vielen Farben. Und in ihrer Größe übertrafen sie seine Vorstellungen bei weitem.
    In jedem dieser Häuser könnte die Ameisenkönigin leben.
    Aymáho paddelte, bis seine Muskeln ersterben wollten. Bis diese gewaltige Stadt endlich, endlich an ihm vorbei war und wiederum eine Reihe von Pfahlhütten auftauchte. An einer, die verlassen aussah, band er seinen Einbaum fest. Bald würde die Nacht einbrechen; er hatte noch ein wenig Zeit, eine Vogelspinne zu fangen und sich ihren Geist einzuverleiben. In der Nacht, so hoffte er, war diese Stadt verwundbar.
     
    Er täuschte sich. Die Ambue’y scherten sich nicht darum, ob Tag oder Nacht war. Auf schlanken, eisernen Stämmen brannten Lichter. Über solche Zauberei verfügten auch die Ava, doch die der
Anderen
leuchteten so viel heller und gleichmäßiger. Sie flankierten Wege, die breiter waren als der Dorfplatz der Yayasacu. Die mächtigen Häuserwände, riesig wie ineinander verschlungene Baumreihen an den Ufern, erdrückten ihn. Wie Wasserläufe durchschnitten die Wege die Stadt. Und gleich dem Fluss waren auch sie bevölkert von unzähligen Menschen und Tieren und überhäuft von Schmutz und Abfall. Affen, Hunde, Queixadas streiften über die Wege; Urubus hockten mit gespreizten Schwingen auf blutigen Kadavern. Sogar die Tiere machten die Nacht zum Tag.
    Die Menschen waren in helle Stoffe gehüllt – es sah beschämend aus. Sie strömten dem Fluss zu. Viele trugen winzige Boote oder weißblühende Blumen. Trotz des Elends um sie herum waren sie fröhlich; an all dem Dreck und Gestank schienen sie sich nicht zu stören. Gelegentlich warf einer ein Stück Maniokbrot oder ein glänzendes Metallstück in den Schoß eines am Wegesrand Bettelnden.
    Viele seines Volkes saßen dort. Sie waren in erbärmlichem Zustand. Nichts erinnerte an das, was sie einstmals gewesen waren. In zerschlissene Stoffe gehüllt, hockten und schliefen sie im Schmutz. Leer waren ihre Blicke, ihre Gesichter aufgedunsen oder ausgemergelt.
    Er bückte sich und rüttelte an der Schulter einer Frau, da er glaubte, sie sei tot. Mühsam richtete sie den Oberkörper auf. In ihren Armen lag ein Kind. Unzweifelhaft hatte es sein Leben längst ausgehaucht.
    «Ich suche Wittstock.»
    Würde sie wenigstens den Kopf schütteln. Die Achseln zucken. Oder weinen. Nichts dergleichen. Aymáho lief weiter. Ab und zu blieb einer der Ambue’y stehen, wenn er vorüberkam, und musterte ihn von oben bis unten. Die Männer pflegten ihn jedoch zumeist mit Missachtung zu strafen; die Frauen wirkten erschrocken, die Kinder staunten. «Wittstock?», sprach er schließlich einen dieser seltsamen Menschen an. Der Mann lachte schallend und ging weiter.
    Vor einem Hauseingang drängelten Ava. Ein schwarzgekleideter Mann kam heraus und bat sie mit einer einladenden Geste ins Innere. Sie konnten es kaum erwarten, ins Haus zu gelangen. Was mochte es dort geben? Als sie im Innern verschwunden waren, bedeutete der Mann Aymáho, es ihnen gleichzutun.
    Falsch wirkte sein Lächeln nicht. Es konnte nicht schaden, auch ihn zu fragen.
    Aymáho überquerte den steinernen Weg. «Wittstock?»
    «Wittstock?»
    Er hob die Hände zum Zeichen, dass er sich nicht besser auszudrücken vermochte. Die Miene des Mannes erhellte sich.
    «Sprich nur deine Sprache, mein Freund! Dein Dialekt mag mir nicht vertraut sein, aber wir werden uns schon verständigen; ich habe mich schon mit so

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