Die Bucht des grünen Mondes
verstanden, Yami. Weshalb?»
Doch Yami schwieg. Sie rieb Fett auf harte, verkrustete Schürfwunden. Trotz ihrer Verbissenheit tat es wohl. Die Frauen stoben beiseite. Der Kazike und die Schamanen traten heran. Wieder dieses lange Mustern, dessen Aymáho allmählich leid wurde. Am Morgen hatte er berichtet, was ihm widerfahren war und welche Gefahr drohte. Sollte man ihn nicht wie einen großen Krieger feiern? Stattdessen behandelten sie ihn wie einen Kranken, der sich bei den Ambue’y angesteckt hatte.
Auch wenn er wieder ganz und gar ein Mensch war und zurück im Dorf, fühlte es sich an, als fehle ein Schritt zur vollständigen Rückkehr, und diesen könne er nie mehr zurücklegen.
Es sei denn, er nahm die Bedrohung von ihren Schultern.
Es sei denn, er brachte den Schädel. Den Schädel des Häuptlings der
Anderen
.
Die Männer liefen auf den Höhleneingang zu. Hier war Aymáho zuletzt gewesen, als vor zwei Jahren seine Mutter gestorben war. Ein Geflecht aus Lianen verhüllte den Eingang. Wüsste man nicht, was sich hier befand, so hätte man unmittelbar davorstehen können, ohne ihn wahrzunehmen. Der Kazike grub die Finger in das Geflecht, zögerte einen Augenblick und zog es beiseite. Nacheinander verschwanden die Männer im Inneren. Modriger Geruch schlug ihnen entgegen, und sie kämpften, nicht zu schnaufen und zu husten. Man sagte, die Höhle sei erfüllt von den Geistern der Verstorbenen. Doch als Aymáho sich umsah, entdeckte er nur Staubflocken. Sie tanzten in den einfallenden Sonnenstrahlen, welche ihren Weg durch Lücken und Löcher in der Decke fanden.
Nischen waren ringsum in die Wände gehauen, wie die Kammern eines Wespennestes. In jeder stand ein Gefäß. Auf jenen weit oben lag der Staub der Jahrhunderte. Dort lagerte die Asche der Weisen und großen Jäger des Dorfes. Ehrfürchtig sahen alle Männer auf. Sie trugen ihre roten Federkronen, die ihnen Kraft und Fruchtbarkeit verliehen. Die Schamanen hatten sich mit grünen Papageienfedern geschmückt, um die Toten zu ehren. Sie begannen Boden und Wände nach Getier abzusuchen, das ihnen gefährlich werden konnte. Der alte Pinda fand eine rotgeringelte Schlange. Ta’niema, der unter den Schamanen der Jüngste war, brachte eine Vogelspinne. Man besänftigte die Tiere mit dem Geist des Tabaks und trug sie hinaus.
Reihum ging nun Oa’poja, der erste Schamane, und blies jedem durch ein Bambusrohr Epena in die Nase. Wie alle sog Aymáho das Rindenpulver des Mua-Baumes tief in sich ein. Und wie alle erzitterte er unter dem nadelscharfen Schmerz, sodass sie sich gegenseitig an den Schultern festhalten mussten. Es dauerte zehn hastige Herzschläge, bis der Drang, sich des Pulvers zu entledigen, verebbte. Dann hatte sich der Epena-Geist des Körpers bemächtigt. Aymáho spürte ihn im hämmernden Schädel sowie in den schwer werdenden Händen und Füßen. Rote Rinnsale troffen aus den Nasen der Männer; Schweiß rann ihnen über die Leiber. Sie hatten die Zehen fest in den Boden gestemmt, um nicht zu fallen. Ihre Köpfe wankten. Auch Aymáho hatte Mühe, sich zu halten. Schwer atmend sah er zu, wie sich die Lichtstrahlen krümmten, wie sie heller wurden, von Weiß zu Gelb und Rot und zurück wechselten.
«Das Gestern gehört den Geistern, das Morgen ebenso», sagte Oa’poja, die Stimme schwer von seinem Geist-Rausch. Sie klang unwirklich an diesem düsteren Ort, der nach Tod und Verwesung roch. «Aber heute müssen wir in die Geisterwelt der Vergangenheit, auch wenn sie für uns nicht fassbar ist. Also hört mir zu.»
Mit zittrigen Händen ergriff er eines der rotbemalten Tongefäße und wandte sich den Versammelten zu.
«Dies ist die Asche von Py’aguãsu. Er war einer der größten Krieger unseres Stammes. Sein Geist, der dieser Urne innewohnt, ist mächtig. So mächtig, dass wir es nur selten wagen, ihn zu stören. Heute ist es wieder so weit.»
Als Oa’poja mit einer überraschend schnellen Bewegung den hölzernen Verschluss herauszog und die Urne über den Kopf hob, überkam Aymáho wie die anderen der Drang, einen Schritt zurückzuweichen. Aber dann wäre er wirklich gefallen. Kräuselte sich da nicht ein Rauchfähnchen, in den einfallenden Lichtfingern? Doch was herabsegelte, war nur ein Staubfaden.
Der Schamane bohrte zwei Finger in die Öffnung. Was an ihnen hängen blieb, schüttelte er in eine Schale, die er zuvor auf einem Holzklotz in der Mitte der Höhle aufgestellt hatte. Dann verschloss er die Urne, stellte sie zurück und
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