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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Kaziken, der auf einem schlichten Holzthron Platz genommen hatte. Jeder strich er über die Wangen, wechselte mit ihr einige Worte und nahm sie in Augenschein.
    «Er sucht die heraus, die er für sich beansprucht», vernahm Amely zu ihrem Erstaunen. Tatsächlich blieben zwei Mädchen bei ihm stehen. Eines wirkte stolz, vom Häuptling erwählt worden zu sein. Das andere aber suchte traurig den Blick eines jungen Mannes.
    «Für die anderen drei darf morgen geworben werden.»
    «Wirst du auch?»
    Ruben schüttelte den Kopf. «Ich wurde immer nur zurückgewiesen. Jetzt versuche ich es nicht mehr.»
    Das zu hören erstaunte Amely. Er war – nun, er war in jeder Hinsicht der auffälligste, ungewöhnlichste Mann in dieser Schar, nicht nur seines Tanzes wegen. Doch wirklich vertraut gingen die Menschen nicht mit ihm um. Nur Pytumby und Ku’asa hatten ihm anerkennend auf die Schulter geschlagen. Amely schob die Hand in seine Ellbogenbeuge. «Es liegt bestimmt daran, dass du nicht hierhergehörst», raunte sie ihm zu.
    Er strich sich das zerzauste Haar hinters Ohr. «Was sagst du?»
    «Die Menschen hier zeigen dir, dass du anders bist.»
    «Ah, du fängst wieder an, Geist-Worte zu reden!»
    «Wenn du erst einmal daheim bist, wirst du mich verstehen.»
    «Ich bin daheim!»
    «Nein, du bist bei Wilden in der Wildnis. Die mögen sich meinetwegen Schlangen um den Leib legen und ihr Leben aufs Spiel setzen – aber doch nicht du.» Amely starrte auf das Holzbrett, das ihr irgendjemand in den Schoß gelegt hatte. Ein Affenkopf lag darauf – mit abgehobener Schädelplatte. Ein Löffel steckte im Hirn. Eilig reichte sie Ruben das Brett. Wenn er doch nur die Augen richtig aufmachen würde. Dann könnte er sehen, dass sie recht hatte.
    Ärgerlich stocherte er im Hirn herum, aß einen Bissen und gab das Brett weiter. «Ich bin Yayasacu!»
    Soll er doch!
, dachte sie. Was kümmerte es sie? War sie verpflichtet, den verlorenen Sohn zurückzuholen? Aber es nicht zu tun – ach, warum ließ es ihr Herz krampfen? Es konnte nicht so bleiben, es durfte nicht! «Du bist der einzige Yayasacu, der in Windeseile Deutsch gelernt hat. Herrgottnochmal! Begreife es doch!» Es musste an ihrer Angst um ihn liegen, die sie eben so wütend gemacht hatte, dass sie laut und taktlos war. Aber sie hatte genug von seiner Engstirnigkeit. Irgendwann schlug selbst der langmütigste Mensch ein bockiges Kind.
    Tatsächlich, er holte zu einem Hieb aus. Er, der Tiacca stets daran gehindert hatte. Seine Hand zuckte zurück. Der Kazike war herangetreten und blickte streng auf sie beide herab. Auffordernd deutete sein Finger auf Rubens Hütte. Langsam erhob sich Ruben. Amelys Gesicht brannte vor Scham. Es war still geworden; alle sahen herüber. Tiacca hatte den großen Mund schadenfroh verzogen. Amely wartete, dass Ruben herumpolterte. Doch er zog sie auf die Füße und folgte dem Befehl. Ihr armseliges Gewand um sich haltend, lief sie neben Ruben her. Erst in seiner Hütte wagte sie aufzuatmen.
    «Ruben, es tut mir leid …»
    Er fuhr zu ihr herum, stieß sie vor die Brust, dass sie rücklings gegen einen der Pfosten taumelte. So fest drückte er ihre Schulter, dass sie in die Knie ging. Er zwang ihre Hände hinter dem Pfosten zusammen und band sie so fest, dass sich die Schnüre in die Haut drückten.
    «Ich bin Aymáho kuarahy! Nicht
Ruben
!», schrie er auf sie herunter. «Ich – bin – nicht – Wittstocks Sohn!»
    «Und ob du das bist. Du brüllst wie er, du bist roh wie er.»
    «Nein.» Er zitterte vor Wut.
    Sie starrten sich an. Erst zögerlich, dann immer schneller nahmen Trommeln und Flöten ihr Spiel wieder auf. Jemand rief etwas; andere lachten – es klang erleichtert, als hätte man festgestellt, dass die Hütten nach einem Unwetter noch standen.
    Endlich löste sich Ruben aus seiner Erstarrung. Er holte aus seinen Vorratsgefäßen einen schwarzen Klumpen, entzündete ihn an den glühenden Holzkohlen im Erdloch und legte ihn in eine Schale. Ein Käfer war in der Masse eingeschlossen, wusste Amely. Um sich des Getiers zu entledigen, erzeugten die Bäume eine Pechgeschwulst, die den Indios als Lampenlicht diente. Ruben nahm einen kleinen Käfig von der Wand und hockte sich vor das Licht. Mit fahrigen Bewegungen wickelte er Pfeile aus einer ledernen Hülle, polierte die hölzernen, manchmal auch eisernen Spitzen. Amely dachte, dass sich der gefangene Pfeilgiftfrosch auch nicht unwohler fühlen konnte als sie. Ruben drehte den rundlichen Käfig

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