Die Buecher und das Paradies
vorkommt.
Den Eindruck von Scheiben machen allerdings die Weltkarten in den Apokalypsen-Kommentaren des Beatus von Liebana, einem im achten Jahrhundert verfaßten Text, der jedoch in den folgenden Jahrhunderten, illustriert von mozarabischen Miniaturenmalern, großen Einfluß auf die Kunst der romanischen Abteien und der gotischen Kathedralen hatte, und T-Karten finden sich auch in zahllosen anderen illuminierten Handschriften.
Wie war es möglich, daß Leute, die die Erde für eine Kugel hielten, Karten zeichneten, auf denen eine flache Erde zu sehen war? Die erste Erklärung ist, daß auch wir nichts anderes tun. Wer die Flachheit jener Karten kritisiert, könnte ebensogut die Flachheit unserer heutigen Weltatlanten kritisieren. Es handelte sich um eine naive und konventionelle Projektion. Aber wir müssen auch noch andere Elemente bedenken.
Das Mittelalter war eine Zeit großer Reisen, doch wegen der schlechten Straßen, der zu durchquerenden Wälder und der auf schwankenden Booten zu überwindenden Meeresarme war es nicht möglich, genaue Karten zu zeichnen. Sie waren bloß ungefähre Anhaltspunkte, wie die Wegbeschreibungen der Pilgerführer nach Santiago de Compostella, und sie besagten soviel wie:
»Wenn du von Rom nach Jerusalem willst, halte dich in südlicher Richtung und frag dich durch.« Denken wir an die Karten der Bahnlinien, die wir in Eisenbahnfahrplänen finden. Niemand könnte aus solch einer Reihe von Knotenpunkten, die an sich sehr klar ist, wenn man zum Beispiel von Mailand nach Livorno will (und erfährt, daß man über Genua muß) exakte Auskünfte über die Form Italiens ableiten. Die exakte Form Italiens interessiert nicht, wenn man zum Bahnhof muß.
Die Römer hatten zahlreiche Straßen gebaut, die alle Städte der bekannten Welt miteinander verbanden, aber dargestellt wurden diese Straßen auf jener Karte, die man nach dem Namen ihres Finders im 16. Jahrhundert die Peutingeriana nennt. Darauf sind sehr gewissenhaft alle Straßen des Römischen Reiches verzeichnet, aber schematisch zusammengedrängt in zwei Streifen, einem oberen, der Europa darstellen soll, und einem unteren für Afrika, und das dazwischen liegende Mittelmeer erscheint wie ein schmales Flüßchen. Wir haben es mit dem gleichen Sachverhalt wie bei der Fahrplankarte zu tun. Nicht die Form der Kontinente interessiert, sondern allein die Information, daß eine bestimmte, so und so lange Straße von Marseille nach Genua führt. Dabei sind die Römer seit den Punischen Kriegen kreuz und quer übers Mittelmeer gefahren und wußten sehr wohl, daß es nicht jenes Rinnsal war, das man auf der Karte sieht.
Im übrigen waren die mittelalterlichen Reisen oft imaginär. Das Mittelalter hat Enzyklopädien hervorgebracht, sogenannte Imagines Mundi, die vor allem den Geschmack am Wunderbaren befriedigen sollten, indem sie von fernen, unerreichbaren Ländern erzählten, aber verfaßt waren all diese Bücher von Leuten, die die Orte, von denen sie sprachen, nie gesehen hatten, denn die Kraft der Überlieferung zählte mehr als die Erfahrung. Manche Weltkarten jener Epoche sollten gar nicht die Form der Erde darstellen, sondern die Städte aufzählen und die Völker benennen, denen man dort begegnen konnte. Zudem war die symbolische Darstellung wichtiger als die empirische, und oft lag dem Kartographen viel mehr daran, Jerusalem genau in der Mitte der Karte zu zeichnen, als anzugeben, wie man nach Jerusalem gelangte. Schließlich, letzte Überlegung, die mittelalterlichen Karten hatten keine wissenschaftliche Funktion, sondern bedienten den
Wunsch des Publikums nach Fabelhaftem, so ähnlich, würde ich sagen, wie uns heute bunte Hochglanzmagazine die Existenz von fliegenden Untertassen beweisen und im Fernsehen erzählt wird, daß die Pyramiden von einer außerirdischen Zivilisation erbaut worden seien. Noch in der Nürnberger Chronik, die immerhin von 1493 ist, oder im folgenden Jahrhundert in den Atlanten von Ortelius sind auf den Karten seltsame Monster zu sehen, welche man für die Bewohner jener Gegenden hielt, die bereits kartographisch akzeptabel dargestellt waren.
Vielleicht waren die mittelalterlichen Menschen kartographisch naiv, aber viele neuzeitliche Historiker sind noch naiver gewesen und haben ihre Projektionskriterien nicht zu interpretieren verstanden.
Eine Fälschung, die den Gang der Weltgeschichte verändert hat? Die Konstantinische Schenkung. Seit Lorenzo Valla wissen wir, daß die Urkunde des Constitutum nicht
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