Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
diesen Brustpanzer mit.»
Joscelyn trollte sich. Der Graf sah zu, wie Vater Roubert neue Scheite ins Feuer warf, dann wandte er sich wieder dem Dokument zu. Der Graf von Astarac hatte einen Steinmetz beauftragt, die Worte «Calix Meus Inebrians» über das Tor der Burg von Astarac zu meißeln, und er hatte ausdrücklich bestimmt, dass das auf dem Vertrag notierte Datum dem Wahlspruch hinzugefügt werden sollte. Aber warum? Warum sollte jemand seine Festung mit den Worten «Mein Becher macht mich trunken» schmücken wollen? «Vater?», sagte er.
«Euer Neffe rennt in den sicheren Tod», grummelte der Dominikaner.
«Ich habe noch andere Neffen.»
«Aber Joscelyn hat recht. Wir müssen sie bekämpfen, und zwar bald. Sie haben die Begine nicht verbrannt.» Vater Roubert war so zornig, dass es ihm den Schlaf raubte. Wie konnten sie es wagen, eine Ketzerin zu verschonen! Nachts lag er in seinem schmalen Bett und malte sich aus, wie die Frau schreien würde, wenn die Flammen ihr Kleid verschlangen. Danach wäre sie nackt, und Vater Roubert erinnerte sich genau, wie ihr weißer Körper an seinen Tisch gefesselt gewesen war. In dem Moment hatte er begriffen, was Versuchung war, und in dem Maße, wie die Versuchung ihn gequält hatte, hatte er es genossen, das glühende Eisen auf die Haut ihrer Schenkel zu pressen.
«Vater! Träumt Ihr?», wies der Graf den Geistlichen zurecht. «Seht Euch das an.» Er schob den Vertrag über den Tisch. Mit gerunzelter Stirn bemühte sich der Prior, die verblichene Handschrift zu entziffern, dann nickte er, als er die Worte erkannte. «Aus den Psalmen Davids.»
«Natürlich! Wie dumm von mir. Aber warum sollte jemand ‹Mein Becher macht mich trunken› über sein Burgtor meißeln lassen?»
«Die Kirchenväter bezweifeln, dass David damit ‹trunken› im niederen Sinne meinte. Vielleicht eher trunken vor Freude? ‹Mein Becher erfreut mich›?»
«Aber was für ein Becher?», fragte der Graf. Es herrschte Stille, abgesehen vom Prasseln des Regens und dem Knistern des Feuers. Vater Roubert studierte erneut den Vertrag, dann stand er auf und trat an die Regale des Grafen. Er nahm ein großes, an einer Kette befestigtes Buch heraus, legte es vorsichtig auf das Lesepult, löste die Schnallen am Einband und schlug es auf. «Was ist das für ein Buch?», fragte der Graf.
«Die Annalen des Klosters St. Josèphe.» Vater Roubert blätterte in den steifen Seiten, auf der Suche nach einem Eintrag. «Wir wissen», sagte er, «dass der letzte Graf von Astarac von der Ketzerei der Katharer befallen war. Es heißt, sein Vater habe ihn als Knappe zu einem Ritter in Carcassonne geschickt und dort sei er zum Sünder geworden. Später erbte er Astarac und unterstützte die Ketzer, und wir wissen, dass er einer der letzten Katharerherren war.» Er verstummte und schlug die nächste Seite um. «Ah! Hier ist es. Montségur fiel am Tag des heiligen Joévin im zweiundzwanzigsten Jahr der Herrschaft von Raymond VII.» Raymond war der letzte große Graf von Toulouse gewesen und nunmehr fast hundert Jahre tot. Vater Roubert rechnete einen Moment. «Das würde bedeuten, Montségur fiel im Jahr 1244.»
Der Graf beugte sich über den Tisch und griff nach dem Vertrag. Er ließ den Blick darübergleiten und fand, was er suchte. «Und der Vertrag ist datiert auf den Tag vor dem Fest des heiligen Irenäus im gleichen Jahr. Das Fest des heiligen Irenäus ist Ende Juni, nicht wahr?»
«Ganz recht.»
«Und der Tag des heiligen Joévin ist im März», sagte der Graf. «Was bedeutet, dass der Graf von Astarac nicht in Montségur gestorben ist.»
«Wir wissen nicht, wer den Auftrag erteilt hat», gab der Prior zu bedenken. «Vielleicht war es sein Sohn?» Er blätterte weiter in den großen Seiten der Annalen, deren derb ausgestaltete Initiale ihn zu einer Grimasse veranlassten, bis er den Eintrag fand, nach dem er suchte. «‹Und im Jahr des Todes unseres Grafen, als eine große Plage von Kröten und Nattern herrschte›», las er vor, «‹nahm der Graf von Berat Astarac ein und tötete alle, die er dort vorfand.›»
«Aber in den Annalen steht nirgends, dass Astarac starb?»
«Nein.»
«Was also, wenn er noch lebte?» Erregung hatte den Grafen gepackt; er war aufgestanden und lief auf und ab. «Und weshalb hatte er seine Gefährten in Montségur im Stich gelassen?»
«Falls es so war», sagte Vater Roubert skeptisch.
«Jemand von entsprechender Stellung hat den Steinmetz beauftragt, eine Nachricht in den
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