Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
«Lasst mich nur endlich von der Leine!»
«Das ist etwas für Bruder Jerôme.» Der Graf legte das Gesuch in den großen Korb, der nach unten in den Raum gebracht werden würde, in dem der junge Mönch aus Paris saß und die Unterlagen durchsah. «Und mischt ein paar andere Dokumente darunter», sagte er zu Vater Roubert, «nur um ihn zu verwirren. Mit den alten Steuerrollen aus Lemierre kann er sich einen ganzen Monat amüsieren!»
«Dreißig Mann, Onkel», drängte Joscelyn, «mehr verlange ich nicht! Ihr habt siebenundachtzig Soldaten! Gebt mir dreißig davon!»
Joscelyn, Herr von Merville, war eine beeindruckende Gestalt. Er war riesig, mit einer mächtigen Brust und langen, kraftvollen Gliedern, doch seine Erscheinung wurde verdorben durch ein rundes Gesicht von solcher Einfalt, dass der Graf sich bisweilen fragte, ob hinter den vorstehenden Augen seines Neffen überhaupt ein Hirn saß. Joscelyn hatte strohfarbenes Haar, das fast immer die Druckspuren eines ledergefütterten Helms aufwies, und obgleich er nur aus Knochen und Muskeln zu bestehen schien und kaum von störendem Verstand geplagt war, hatte er doch seine Tugenden. Er war fleißig, auch wenn sein Fleiß einzig auf die Turnierbahn gerichtet war, wo er als einer der besten Kämpfer in ganz Europa galt. Er hatte zweimal das Pariser Turnier gewonnen, in Tewkesbury die besten englischen Ritter geschlagen, und selbst in den deutschen Staaten, deren Männer sich für unbesiegbar hielten, hatte Joscelyn ein Dutzend angesehener Preise erkämpft. Er hatte den berühmten Walther von Siegenthaler zweimal innerhalb eines Durchgangs vom Pferd geworfen, und der einzige Ritter, der Joscelyn immer wieder besiegt hatte, war der schwarz gekleidete Mann, der sich Harlekin nannte und der grimmig und erbarmungslos über die Turnierbahnen galoppiert war, um Geld aufzutreiben. Doch der Harlekin war seit drei oder vier Jahren nicht mehr gesehen worden, und Joscelyn hoffte, dass er ohne diesen ärgerlichen Gegner zum besten Turnierreiter Europas aufsteigen konnte.
Er war in der Nähe von Paris aufgewachsen, als Sohn des jüngeren Bruders des Grafen, der siebzehn Jahre zuvor an der Ruhr gestorben war. Joscelyns Familie hatte wenig Geld gehabt, und der Graf, der für seinen Geiz berüchtigt war, hatte der Witwe kaum einen Écu geschickt, um ihre Sorgen zu lindern, doch Joscelyn hatte sich mit Lanze und Schwert Geld verdient, und das, fand der Graf, sprach doch immerhin für ihn. Außerdem hatte er zwei Soldaten mitgebracht, beides erprobte Krieger, die er aus seiner eigenen Börse entlohnte, und das ließ darauf schließen, dass er in der Lage war, Männer anzuführen. «Aber du solltest wirklich das Lesen lernen», beendete der Graf seinen Gedankengang laut. «Die Beherrschung der Schrift zivilisiert einen Mann.»
«Drauf geschissen!», sagte Joscelyn. «Castillon d’Arbizon ist in den Händen englischer Plünderer, und wir tun nichts! Gar nichts!»
«Ich würde nicht sagen, dass wir nichts tun», wandte der Graf ein und kratzte sich erneut unter seiner Haube. Ein beharrliches Jucken plagte ihn, und er fragte sich, ob es der Vorbote von etwas Schlimmerem war. Er nahm sich vor, seine Kopien von Galenus, Plinius und Hippokrates zu konsultieren. «Wir haben Nachricht nach Toulouse und Paris geschickt», sagte er zu Joscelyn, «und ich werde ein Schreiben an den Seneschall in Bordeaux aufsetzen, in dem ich mit aller Schärfe protestieren werde!» Der Seneschall war der Vertreter des englischen Königs in der Gascogne, und der Graf war sich keineswegs sicher, ob er dem Mann tatsächlich schreiben würde, denn ein solcher Protest würde womöglich noch mehr englische Abenteurer auf die Idee bringen, Ländereien in Berat zu erobern.
«Vergesst die Schreiberei», sagte Joscelyn. «Tötet die Bastarde. Sie brechen die Waffenruhe!»
«Sie sind Engländer», erwiderte der Graf «Die brechen immer die Waffenruhe. Man kann eher dem Teufel vertrauen als einem Engländer.»
«Dann tötet sie», drängte Joscelyn.
«Das werden wir.» Der Graf mühte sich, die grauenvolle Schrift eines längst zu Staub zerfallenen Schreibers zu entziffern, der einen Vertrag aufgesetzt hatte, in dem ein Mann namens Sestier beauftragt wurde, die Abwasserrinnen der Burg mit Ulmenholz zu verkleiden. «Irgendwann», fügte er geistesabwesend hinzu.
«Gebt mir dreißig Mann, Onkel, und ich jage sie innerhalb einer Woche davon!»
Der Graf legte das Dokument beiseite und griff nach dem nächsten. Die
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