Die Bücher von Umber, Band 3: Das Ende der Zeit
in seinem Gesicht abhoben, starrte er Hap an. Die spitz zulaufende Zunge glitt über seine gelben Zähne.
Hap zuckte erschrocken zurück, und das Geländer drückte sich in seinen Rücken. Regungslos blickte er den Vollstrecker an, der keine Anstalten machte, die Tür zu öffnen. Stattdessen hob die Kreatur mit den vielen Augen die Hand und sagte: »Warte!«
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H ap stand, abgesehen von seinen zitternden Knien, völlig erstarrt da. Der Vollstrecker legte seinen Mund an den schmalen Spalt zwischen den Flügeltüren. »Ich habe dich beobachtet. Ich habe gesehen, was du vorhattest, und hielt es für das Beste, dich gewähren zu lassen. Dieses Ding gehörte nicht in diese Welt.« Ein grauenhaftes lautes Schlürfen beendete seine Worte.
Hap behielt die Hände des Vollstreckers im Auge, um sicherzugehen, dass er nicht nach der Türklinke griff. Als er die scharfen, löffelartig geformten Fingernägel sah, die der Vollstrecker verwenden würde, um ihm die Augen auszukratzen, überlief ihn ein Schauer.
»Bist du mir dankbar dafür?«, fragte der Vollstrecker.
Hap nickte und schluckte schwer. Seine Muskeln zuckten. Er war bereit, jederzeit zum Sprung anzusetzen und hoch in die Luft hinauszufliegen. »Und jetzt?«
»Jetzt dankst du mir, indem du dich deiner Strafe stellst. Du weiÃt, dass es passieren muss. Das Gesetz befiehlt es.«
»W-Wessen Gesetz?«, stammelte Hap.
Die grünen Augen blinzelten versetzt. »Das weià ich nicht. Ich werde nur über die Vergehen der Fädenzieher informiert. Mir werden Aufgaben erteilt. Ich soll die Essenz zurückholen, die dich zum Fädenzieher gemacht hat, weil dabei gegen das Gesetz verstoÃen wurde: Kein Fädenzieher darf einem anderen Schaden zufügen. Kein Fädenzieher darf einen anderen erschaffen. Niemals darf ein Kind zum Fädenzieher gemacht werden. Da hast duâs.«
»Deine Gesetze sind mir egal«, sagte Hap. »AuÃerdem bin nicht ich derjenige, der sie gebrochen hat.«
Drei der grünen Augen verdrehten sich nach oben, zwei wurden zugekniffen. »Du brichst sie durch deine bloÃe Existenz. Und jetzt bleib, wo du bist. Es hat ohnehin keinen Sinn, zu fliehen. Dein Erschaffer hat es versucht und ich habe ihm seine Augen trotzdem weggenommen.« Mit seinem grauenhaften krummen Nagel zeigte der Vollstrecker erst auf ein grünes Auge auf seiner rechten Wange, dann auf ein anderes auf seiner Stirn. »Akzeptiere dein Schicksal, Gesetzloser!«
Der Vollstrecker griff mit seiner langfingrigen Hand geradewegs durch die Glasscheibe. Hap bog den Oberkörper nach hinten, als die Nägel über seine Wange kratzten. Er wirbelte über das Geländer und fiel, von glitzernden Glasscherben begleitet, vom Balkon. Der Boden raste auf ihn zu, doch bevor sein Körper auf die Palastmauer aufschlagen konnte, schlüpfte er ins Wedernoch.
Er starrte in die Finsternis. Die unbändige Kälte fraà sich in die frische Wunde auf seiner Wange und er fühlte, wie das heraussickernde Blut gefror. Er schaute nach rechts, links, oben und unten und fragte sich, ob der Vollstrecker irgendwo auftauchen würde. Los, weiter , ermahnte er sich. Er schwebte in den dunklen leeren Raum und blickte sich um.
Ein Lichtfaden näherte sich, glitt in der Ferne nach rechts und nach links und tastete sich durch das Wedernoch vor wie ein Fühler. Das ist er , dachte Hap. Zwar konnte er seine Gestalt nicht sehen, doch er wusste, dass es sein Feind war. Er verfolgt meine Spur .
Wie soll ich ihn bloà abschütteln? Seine Zähne klapperten, sowohl vor Angst als auch vor Kälte. Er wusste nicht, was passieren würde, wenn der Lichtfaden des Vollstreckers seinen kreuzte, hier in dieser merkwürdigen Leere, aber er war sich sicher, dass das sein Ende wäre.
Während der Lichtfaden näher kam, fragte er sich, wohin er sich wenden und was er tun sollte und wie er seinem Verfolger entkommen könnte. Er ergriff die erste Idee, die ihm einfiel, beim Schopf.
Sein Lichtfaden hatte zwei Teile. Der hellere Abschnitt zeigte an, wo er hingehen konnte, und beugte sich seinen Wünschen. Der dunklere Abschnitt jedoch verriet, wo er gewesen war, und war unveränderlich. Wenn er dem dunkleren Strang folgte, würde er nicht in der Zeit zurückgehen â das war unmöglich, selbst für einen Fädenzieher. Doch er konnte seine Reise durch Länder und Meere
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