Die Bücherdiebin
Bügeln.«
Es war, als würde sie eine Anklageschrift verlesen.
Herr Vogel, Herr und Frau Pfaffelhürver, Helena Schmidt, die Weingartners - sie alle hatten sich irgendeines Vergehens schuldig gemacht.
Abgesehen von seinem dauerhaften Rausch und seiner kostspieligen Lüsternheit, war Ernst Vogel - schenkte man Rosa Glauben - ständig dabei, sich seine verlausten Haare zu kratzen, sich die Finger zu lecken und dann die Bügelarbeit zu bezahlen. »Ich sollte das Geld waschen, bevor ich es einstecke«, lautete ihr Resümee.
Die Pfaffelhürvers prüften jeden Zentimeter des Stoffs. »>Bitte keine Knitter in den Hemden!<«, äffte Rosa sie nach. »>Und keine Falte in diesem Anzug, keine einzige!< Und dann stellen sie sich hin, wenn ich noch dabei bin, und untersuchen alles. Direkt unter meinen Augen! Was für ein G'sindel!«
Die Weingartners waren offenbar dämliche Leute mit einem Saukerl von einem Kater, der haufenweise Haare verlor. »Hast du eine Ahnung, wie lange ich brauche, um die ganzen Haare von den Sachen zu zupfen? Die sind überall!«
Helena Schmidt war eine reiche Witwe. »Der alte Krüppel - hockt da und verrottet langsam. Die hat in ihrem ganzen Leben noch keinen Finger krummgemacht!«
Die meiste Verachtung allerdings hatte Rosa für das Haus in der Großen Straße übrig. Es war ein mächtiges Haus, oben auf einem Hügel, in dem höchstgelegenen Teil von Molching.
»Das da«, sagte sie zu Liesel, als sie das erste Mal gemeinsam dorthin gingen, »ist das Haus des Bürgermeisters. Der Lump! Seine Frau sitzt den ganzen lieben langen Tag zu Hause und ist sich zu fein, auch nur den Herd anzufeuern. Da drin ist es immer eiskalt. Sie ist verrückt.« Rosa spie die Worte förmlich hervor. »Vollkommen. Verrückt.«
Am Tor bedeutete sie dem Mädchen vorzugehen. »Du klopfst.«
Liesel war entsetzt. Über der schmalen Treppe thronte eine riesige braune Tür mit einem Türklopfer aus Messing. »Was?«
Mama schob sie nach vorn. »Frag nicht so dumm, Saumensch. Beweg dich.« Liesel bewegte sich. Sie ging zur Treppe, erklomm sie, zögerte und klopfte. Ein Morgenmantel öffnete.
In dem Morgenmantel steckte eine Frau mit verwirrten Augen, Haaren, die wie Fusseln aussahen, und einer Haltung, als hätte sie eine Niederlage einstecken müssen. Sie sah Mama am Tor stehen und reichte dem Mädchen einen Sack mit Wäsche. »Danke«, sagte Liesel, aber sie erhielt keine Antwort. Nur die Tür reagierte. Sie schloss sich.
»Siehst du?«, sagte Mama, als Liesel zum Tor zurückkehrte. »Damit muss ich mich abplagen. Diese reichen Schufte, diese faulen Säcke...«
Mit der Wäsche in der Hand wandte sich Liesel im Davongehen um. Der Türklopfer beäugte sie von oben herab.
Wenn sie die Leute, für die sie arbeitete, hinreichend gescholten hatte, ging Rosa Hubermann für gewöhnlich zum zweiten Objekt ihrer Beschimpfung über. Ihrem Ehemann. Sie betrachtete den Wäschesack und die zusammengekauerten Häuser und redete und redete und redete. »Wen n dein Papa auch nur zu irgendetwas taugen würde«, erklärte sie Liesel, und zwar jedes Mal, wenn sie durch Molching liefen, »dann würde ich das hier nicht machen müssen.« Sie schnaubte spöttisch. »Ein Anstreicher! Warum dieses Arschloch heiraten? Das hat mich meine Familie gefragt - alle haben sie mich das gefragt.« Ihre Schritte knirschten den Weg entlang. »Und hier bin ich nun, laufe durch die Straßen und schufte mich in meiner Küche ab, nur weil dieser Saukerl niemals Arbeit hat. Keine richtige Arbeit jedenfalls. Nur dieses jämmerliche Akkordeon, das er jede Nacht in diesen Dreckslöchern spielt.«
»Ja, Mama.«
»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?« Mamas Augen waren wie blassblaue Flecken, die jemand ausgeschnitten und auf ihr Gesicht geklebt hatte.
Sie gingen weiter.
Liesel trug den Sack.
Zu Hause wurde der Inhalt in einem Waschkessel neben dem Ofen gewaschen, vor dem Kamin im Wohnzimmer aufgehängt und dann in der Küche gebügelt. In der Küche, da fand das Leben statt.
»Hast du das gehört?«, fragte Mama sie fast jeden Abend. Sie hielt das Bügeleisen, heiß vom Ofen, in der Hand. Das Licht im Haus war dämmrig, und Liesel starrte vom Küchentisch aus in die Lücken aus Flammen vor ihr.
»Was?«, fragte sie. »Was denn?«
»Das war diese Holzinger.« Mama stand kerzengerade da. »Dieses Saumensch hat gerade wieder gegen unsere Tür gespuckt.«
Frau Holzinger war ihre Nachbarin, und sie hatte die Angewohnheit, jedes Mal die Tür der
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