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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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gewalttätigen Architektur seines Schädels - die schier endlosen Kieferkanten, die spitzen Wangenknochen und die höhlenartigen Augen. So friedlich, dass der Junge sich wunderte.
    Wo bleibt der Kampf?, fragte er sich. Wo der Wille weiterzuleben?
    Natürlich war er mit dreizehn Jahren ein bisschen zu hart in seinem Urteil. Er hatte bisher nichts und niemandem ins Gesicht geschaut, was sich mit mir vergleichen ließ. Noch nicht.
    Mit dem Rest der Familie stand er am Bett und schaute dem Mann beim Sterben zu - ein sicheres Hinübergleiten vom Leben in den Tod. Das Licht im Fenster war grau und orange, die Farben der Sommerhaut, und sein Onkel schien erleichtert, als das Atmen endgültig aufhörte.
    Wenn der Tod mich einfängt, schwor sich der Junge, wird er erst meine Fäuste zu spüren bekommen.
    Ich persönlich mag diese Einstellung. Welch törichte Tapferkeit. Ja.
    Ich mag sie sehr.
    Von diesem Moment an begann er, mit größerer Regelmäßigkeit zu kämpfen. Eine Gruppe von hartgesottenen Freunden und Feinden traf sich auf einem kleinen Platz in der Steberstraße, und sie kämpften im ersterbenden Licht des Tages. Bilderbuchdeutsche, der eine oder andere Jude,
    die Jungs aus dem Osten. Es spielte keine Rolle. Es gab nichts Besseres als eine gute Prügelei, um die jugendliche Energie auszutreiben. Selbst die Feindschaften waren nur hauchdünn von einer Freundschaft entfernt.
    Er genoss die engen Kreise und das Unbekannte. Die Bittersüße der Unsicherheit: Siegen oder verlieren.
    Es war ein Gefühl in seinem Magen, das brodelte und kochte, bis er dachte, er könne es nicht mehr länger aushalten. Die einzige Erlösung war der Schritt nach vorn und der Schlag, der ihm folgte. Max war nicht der Typ Junge, der sich mit Grübeln aufhielt.
    Rückblickend war seine liebste Prügelei seine fünfte gegen einen großen, starken und langgliedrigen Jungen namens Walter Kugler. Da waren sie fünfzehn. Walter hatte die vier vorhergehenden Begegnungen für sich entschieden, aber diesmal, das spürte Max, war etwas anders. Da war neues Blut in ihm - das Blut des Siegers -, und es war ein beängstigendes und zugleich erregendes Gefühl.
    Wie immer hatte sich ein enger Kreis aus Jungen um sie gebil det. Unter ihnen befand sich der Schmutz des Bodens. Auf die Gesichter der Zuschauer hatte sich ein einmütiges Grinsen gelegt. Dreckige Finger hielten Geld umklammert, und die Rufe und Schreie waren mit solcher Vitalität erfüllt, dass es nichts auf der Welt gab außer diesem Kreis.
    Herrgott, welch unbändige Freude, welch unglaubliche Angst, welch herrlicher Tumult!
    Die beiden Kämpfer wurden von der Gewalt des Augenblicks gepackt. Ihre Gesichter waren geladen, verzerrt vor Erregung. Großäugige Konzentration.
    Nach etwa einer Minute, in der sie sich gegenseitig belauert hatten, rückten sie näher aufeinander zu und gingen mehr Risiken ein. Immerhin war dies eine Straßenschlägerei, kein Titelkampf in einem Boxring. Sie hatten nicht den ganzen Tag Zeit.
    »Los jetzt, Max!«, rief einer seiner Freunde. Zwischen den Worten war kein Atemhauch zu spüren. »Mach schon, Max, du hast ihn jetzt, du hast ihn jetzt, Judenjunge, du hast ihn, du hast ihn.«
    Max war klein gewachsen, hatte weiche Haarbüschel, eine zerschlagene Nase und schlammige Augen. Er war einen guten Kopf kleiner als sein Gegner. Sein Kampfstil war bar jeder Eleganz. Er stand gebückt da, schob sich vor und zielte mit schnellen Schlägen auf Kuglers Gesicht. Der andere Junge, der deutlich stärker und geschickter war, blieb aufrecht stehen und warf mit Hieben um sich, die beständig auf Max' Wangen und Kinn landeten.
    Max hielt ihm stand.
    Trotz des Hagels aus Schlägen und Knüffen ging er Kugler immer wieder an. Blut färbte seine Lippen. Bald schon würde es auf seinen Zähnen getrocknet sein.
    Ein Brüllen erhob sich, als er niedergeschlagen wurde. Beinahe hätte das Geld schon die Besitzer gewechselt.
    Max stand auf.
    Er wurde ein zweites Mal zu Boden geschickt, ehe er seine Taktik änderte. Er lockte Walter Kugler ein Stück näher an sich heran, als der andere eigentlich kommen wollte. Als er da war, wo Max ihn haben wollte, gelang ihm ein kurzer, heftiger Stoß mitten ins Gesicht. Er traf. Genau auf die Nase.
    Kugler, plötzlich blind, taumelte zurück, und Max ergriff die Gelegenheit. Er rückte nach, sprang nach rechts und versetzte ihm noch einen Schlag ins Gesicht, gefolgt von einem Hieb in die Rippen. Die Rechte, die den Kampf beendete, landete auf dem

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