Die Buecherfluesterin
hielt meine Hand und sprach die Eidesformel, in der er schwor, mich für immer zu lieben und zu ehren. » Bei bengalischen Trauungen gibt es keine Brautjungfern.«
» Mag sein, aber ich will, dass du dabei bist. Und kommst du mit, wenn Ma und ich am Freitag Saris kaufen gehen? Vielleicht findest du ja auch einen für dich.«
Ich verziehe das Gesicht. » Du weißt, dass ich nicht gerade auf Saris stehe.« Ich habe nicht die Zeit, mich in meterlange Seidenbahnen zu wickeln und die Falten an der Taille festzustecken, bevor ich im Stechschritt zur Arbeit eile. Außerdem haben Saris die unangenehme Angewohnheit, im ungünstigsten Moment hinunterzurutschen. Hinzu kommt, dass sie so förmlich und absolut indisch sind. Sie… passen einfach nicht zu mir.
Gita strahlt förmlich. » Tust du es für mich? Ich bin total aufgeregt. So lange freue ich mich schon darauf!«
» Kannst du dir keinen Sari in Indien bestellen?«
» Warum sollte ich, wenn es doch hier Boutiquen gibt? Aber wir könnten auch einige Saris aus Indien kommen lassen. Vielleicht feiern wir ja noch eine zweite Hochzeit dort. Dilip und ich haben jedenfalls darüber gesprochen.«
» Fliegen seine Verwandten aus Kalkutta ein?«
» Natürlich. Seine Großeltern und ein paar Cousins.« Sie nestelt an den Fransen der Überdecke herum. » Ich hasse es, im Haus herumzukramen, wenn er weg ist. Allein fühle ich mich, als ob die Hälfte von mir fehlen würde.«
Meine inneren Organe scheinen zu verschrumpeln. Für Gita war die Liebe immer so einfach. Sie und Dilip sind schon seit Jahren bis über beide Ohren verliebt und himmeln einander an. » Ist er in letzter Zeit häufig weg?«
» Er hat viel zu tun. Er musste Zweigstellen in Bulgarien und Bangalore eröffnen. Als Nächstes ist China dran.«
» Warum begleitest du ihn nicht?«
» Ich kann nicht aus dem Laden weg.«
» Meldet er sich, wenn er unterwegs ist? Das heißt, bist du informiert darüber, was er dann so alles macht?«
Sie gibt die Fransen der Überdecke frei. » Er ruft jeden Abend an. Manchmal sogar mehrmals täglich.«
» Sein Glück.«
Sie sieht mich strafend an. » Was kann ich dafür, dass er ein netter Kerl ist? Er hat mich gern. Er liebt mich.«
Es tut weh, das zu hören. Robert hat mich auch einmal geliebt. Und jetzt liebt er Lauren. » Na klar, alle Männer lieben Frauen. So viele, wie sie nur kriegen können.«
» Seit wann bist du so verbittert? Dass sich Robert als Schwein entpuppt hat, darfst du nicht an mir auslassen. Dilip ist nicht Robert. Und du bist nicht mehr du selbst.«
» Stimmt«, entgegne ich knapp und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihre Worte mich gekränkt haben. » Robert hat mich ausgesaugt.«
» Du brauchst nicht gleich gemein zu sein.« Sie schüttelt die Kissen auf. » Du bist wie Ma und Dad. Ständig malst du den Teufel an die Wand, gehst vom Schlimmsten aus und gibst mir Ratschläge, als ob ich noch ein Kind wäre. Dad glaubt immer noch, ich würde Herzchirurgin werden, wenn ich einmal groß bin. Das mit der Boutique ist für ihn verkleiden spielen. Wach auf, Dad. Hallo, ich werde niemals irgendjemandem den Brustkorb aufsägen.«
» Dad wollte, dass ich Kinderärztin werde.« Beim Sprechen schreibe ich eine Mail an Robert, in der ich das viel zu niedrige Angebot für die Wohnung höflich ablehne, und drücke auf SENDEN . » Kannst du dir das vorstellen?«
» Und mich als Chirurgin!« Gita hält sich ein Kissen vor die Brust.
» Nicht zu fassen. Du operierst am offenen Herzen, während ich rotznasigen Gören Penicillin verschreibe.«
» So schlimm sind Kinder doch nicht.« Gina verzieht das Gesicht. » Ich hätte nichts dagegen, eines Tages selber welche zu haben…«
» Warum? Im Fall einer Scheidung wären sie nur Anlass für noch mehr Gezerre.«
» Wer spricht denn hier von Scheidung?«
» Die Statistiken. Die meisten Ehen enden mit einer Scheidung.«
» Du bist ja noch schlimmer als verbittert. Du bist… Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll! Robert hat dir offenbar wirklich übel mitgespielt. Glaubst du nicht mehr an die Liebe? Kannst du es nicht wenigstens für mich tun?«
Ein vertrauter Schmerz nistet sich unter meinen Rippen ein, und ich blicke aus dem Fenster auf das bewegte, von einem fahlen, gleichgültigen Mond beschienene Wasser hinaus. Ganz egal, was sich hier unten auf der Erde tut, der Mond zieht weiter seine Bahn über den Himmel. Städte brennen nieder, Kriege toben, Zivilisationen brechen in sich zusammen, und
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