Die Buecherfluesterin
einsame Frauen weinen. Und dennoch geht der verdammte Mond jeden Abend auf und morgens wieder unter. Das Wasser fließt ins Meer– und Robert lebt ohne mich weiter.
Als ich tief Luft hole, stürzt alles in mir abwärts wie eine Aufzugkabine voller Steine. » Offen gestanden, Gita, weiß ich nicht mehr, woran ich glaube.«
Kapitel 7
N
achdem ich mich am nächsten Morgen rasch mit Frühstücksflocken und zwei Tassen extrastarkem Kaffee gestärkt habe, packe ich mich warm ein, stopfe Unterlagen in meinen Aktenkoffer und gehe zur Tür. Alles nur Tante Ruma zuliebe.
» Warte. Ich habe dir etwas zum Mittagessen gemacht.« Eine Papiertüte schwenkend läuft Ma mir nach. Plötzlich bin ich wieder ein Kind auf dem Schulweg, und ich habe dasselbe mulmige Gefühl wie damals– so als müsste ich eine Klassenarbeit schreiben und hätte vergessen, dafür zu lernen.
» Danke, Ma, das wäre nicht nötig gewesen. Ich wollte mir eigentlich etwas kaufen.«
» Warum dein Geld zum Fenster rauswerfen? Der Island Market ist völlig überteuert. Keine Konkurrenz.« Sie steckt die Papiertüte in meine riesige Handtasche. » Was um alles in der Welt hast du da drin? Willst du das etwa in den Buchladen mitschleppen?«
» Ich muss etwas arbeiten und unterwegs einige Telefonate erledigen. Wo kriege ich denn hier Empfang?«
» Am besten ist er noch am Strand, bevor er die Kurve in die Stadt macht. Pass mit den Wellen auf. Die können ziemlich heimtückisch sein.«
» Bis später, Mom.« Wellen, dass ich nicht lache. Es ist die Lieblingsbeschäftigung meiner Mutter, mich vor den Gefahren des Lebens zu warnen. Mein Flugzeug könnte abstürzen. Das Haus der Tante könnte in Flammen aufgehen. Ich könnte stolpern, mir einen Schädelbruch holen und ins Koma fallen. Und nun droht auch noch die Gefahr, dass mich womöglich eine hinterlistige Welle in den Tod reißt.
Im Sand lassen sich die Wadenmuskeln gut trainieren, weshalb ich mich auf den Weg zum Strand mache. Ich entdecke zwar rosige und weiße Muschelschalen und blaue und rote Stücke Vulkangestein, kann mich aber nicht nach ihnen bücken, weil ich zu schwer bepackt bin.
Ein Schwarm Kormorane treibt auf den Wellen. Möwen schweben schrill kreischend durch die Luft. Raschen Schrittes marschiere ich an zwei Frühaufstehern vorbei, eine ältere Frau und ein Mann, die händchenhaltend dahinschlendern. Sie wirken so glücklich wie zwei Teile eines Puzzles, die genau zueinanderpassen.
Technologie, so lautet meine Antwort auf solcherlei melancholische Anwandlungen. Endlich kann ich die Mailbox meines Telefons abfragen. Wenn ich Roberts Stimme höre, macht mein Herz noch immer einen Satz, eine reflexartige Reaktion auf seinen seidenweichen Tenor und diesen Hauch eines texanischen Akzents. Hallo, Jasmine.
Doch als ich weiterlausche, beginne ich die Zähne zusammenzubeißen. Roberts Tonfall ist völlig locker und frei von Schuldgefühlen oder Traurigkeit. Ich wünschte, er würde vor mir im Staub kriechen und mir die Genugtuung gönnen, ihn zurückzuweisen. Aber das hat er noch nie getan . Ich muss dich um einen Gefallen bitten, sagt er. Der Rest der Nachricht ist verzerrt.
Ich rufe ihn zurück. Sein Telefon verweist mich an die Mailbox. Sie haben die körperlose Stimme von Robert Mahaffey erreicht. Sie wissen, was zu tun ist.
Ja, das weiß ich ganz genau, und ich würde auch nicht davor zurückschrecken, wenn es nicht ungesetzlich wäre und mir eine lebenslängliche Gefängnisstrafe bescheren würde.
» Die Antwort ist nein«, verkünde ich. » Ich lehne das niedrige Angebot für die Wohnung ab.« Ich lege auf, blinzle mir die Tränen aus den Augen und konzentriere mich auf die Anrufe von meinen Kunden. Ich preise Portfolios an und gehe mit meinen Fähigkeiten hausieren, während sich das Licht der Morgensonne am Himmel ausbreitet. Kalte, salzige Luft weht mir ins Gesicht. Meine Windjacke, die Jeans und die Turnschuhe können die Kälte kaum abhalten, während ich an der Wasserlinie entlang in Richtung Innenstadt marschiere.
» … entscheiden Sie sich für unsere sozialverträglichen Wachstumsfonds«, sage ich gerade, gefolgt von einem Aufschrei, als mir eine eisige Welle an die Oberschenkel schwappt. » Oh, ich werde Sie zurückrufen!«
Ich renne den Strand hinauf, wobei ich wie ein tänzelndes Pferd die Füße hochziehe, um aus dem Wasser herauszukommen. Ich bin klatschnass, doch da ich bereits den halben Weg zum Buchladen hinter mir habe, gibt es kein Zurück mehr. Als ich das
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