Die Buecherfluesterin
Memoiren. Ich habe sie mitgenommen, und Connor hat darauf bestanden, den Tag und die Nacht mit mir zu verbringen. » Hast du anderen in der Familie davon erzählt?«
» Es spricht keiner mehr von meinem ersten Mann. Es ist, als hätte es ihn nie gegeben. Ich versuche, seinen Namen nicht zu erwähnen. Dein Onkel Sanjoy war gut zu mir, doch nun habe ich meine wahre Liebe zu Subhas wiederentdeckt. Ich hätte auf mein Herz hören und ihn schon vor langer Zeit heiraten sollen, aber…«
» Du hast Onkel Sanjoy doch geliebt, Tante Ruma?«, frage ich. » Oder war diese Ehe eine Lüge?«
» Keine Lüge, aber eine ruhige Liebe. Nähe und Geborgenheit, also das, was ich nach dieser schrecklichen Erfahrung brauchte. Nach Sanjoys Tod bin ich zehn Jahre lang Witwe geblieben. Doch das Leben geht weiter. Nun bin ich wieder bereit für die feurige Liebe zu Subhas. Ich halte es für möglich, in der Liebe sowohl Geborgenheit als auch Leidenschaft zu finden, aber alles zu seiner Zeit.«
Ich umarme meine Tante. Ich liebe ihren Geruch nachPond’s Cold Cream und ihre trügerisch zarten Schultern. » Danke, dass du mir die Geschichte erzählt hast.«
» Allmählich verblassen die Geister für mich«, erwidert sie, ohne mich anzusehen. » Ich habe gehofft, dass du bleibst.«
» Ich?« Ich weiche zurück. Das Zimmer scheint plötzlich zu schrumpfen. » Aber du gehörst hierher. Du warst schon immer hier.«
Tränen treten ihr in die Augen, und sie wendet den Blick ab. » Ich verstehe, Bippy. Der Laden läuft nicht mehr so gut wie früher. Vielleicht geht das Vermächtnis von Ganesh ja zu Ende. Es könnte sein, dass ich verkaufen muss.«
Meine Kehle wird trocken. » Du kannst mit dem Buchladen Gewinn machen. Ich habe versucht, etwas dafür zu tun.«
Meine Tante schweigt einen Moment. » Ich werde durchhalten, so lange es geht, und dann sehen wir weiter.«
Kapitel 41
Z
urück in Los Angeles, marschiere ich in den Konferenzraum von Taylor Investments, stelle meinen Aktenkoffer auf den Tisch und hole mein Konzept für das Konto Hoffmann heraus. Es riecht nach Rasierwasser und Kaffeebohnen. Ich bin von vier Männern in gebügelten Anzügen und einer Frau mit aufgespritzten Lippen umzingelt. Weiße Wände, grauer Konferenztisch, gerade Linien und scharfe Kanten. An der einen Wand hängt das abstrakte Alibigemälde meines Chefs– ein blausilbernes Geschmiere, das an eine Ölpfütze auf einem nassen Highway erinnert. Durch eine Glasfront fällt Sonnenlicht herein, allerdings gedämpft durch die getönte Scheibe. Im Schein der Neonröhren haben alle Gesichter einen Grünstich.
» Henry, spielen Sie noch Golf im Club?«, fragt ein Mann mit schütterem Haar seinen Sitznachbarn, der durchtrainiert und nach Sonnenstudio aussieht.
» Gestern habe ich siebenundachtzig Löcher geschafft«, erwidert der Gebräunte. » Kann es kaum erwarten, wieder auf dem Platz zu sein.«
Der Schüttere tippt mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. » Das beste Ergebnis bei einem Turnier mit vier Runden und zweiundsiebzig Löchern war zweihundertvierundfünfzig, und zwar von Tommy Armour III beim Texas Open 2003.«
» Das muss ich Ihnen wohl glauben«, entgegnet der Gebräunte. Die anderen trinken Kaffee, rascheln mit Papieren und blicken mich erwartungsvoll an.
Scott Taylor räuspert sich. » Meine Herren.« Er wendet sich an die Collagenfrau. » Und Damen. Ich glaube, wir fangen jetzt besser an. Jasmine?«
Ich stehe auf und räuspere mich ebenfalls. » Dank des neuen Pensionsfonds Grüne Zukunft von Taylor können Sie mit Ihrer Geldanlage die Umwelt schützen. Unser Ziel ist eine konkurrenzfähige Rendite, während wir Ihr Geld in Projekte gegen Luftverschmutzung investieren… » Und so weiter und so fort.
Draußen joggt eine knapp bekleidete Frau vorbei. Die Augen der Männer folgen ihr. Der Schüttere klopft mit seinem Stift auf den Tisch. Der Gebräunte grinst der Collagenfrau verlegen zu. Sie bedenkt ihn mit einem tadelnden Blick. Sie ist geliftet und hat sich die Haut straffen lassen, um ihre Zukunft in Schach zu halten, was eine eigenartige Melancholie in mir auslöst.
» Unser Nachhaltigkeitsfonds fördert verantwortliches Verhalten in den Unternehmen«, fahre ich fort. Ich habe meinen Rhythmus gefunden und bin in meinem Element.
Scott lächelt eisern.
Die Collagenfrau hebt die Hand.
» Ja?«, sage ich.
» Das klingt ja großartig.« Als sie eine Grimasse zieht, wird mir klar, dass dies ein Lächeln darstellen soll. » Aber wie können
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