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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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auf die Bestellungen, den Papierkrieg im Büro und das Ordnen der Bücherregale zu konzentrieren.
    Kurz vor der Mittagspause steckt Virginia Langemack den Kopf zur Tür herein. Den ganzen Vormittag schon gehe ich den Kunden aus dem Weg. Ich befürchte nämlich, dass ich losheulen könnte, wenn ich mich von jemandem verabschiede. » Ich habe gehört, Sie wollen fort«, sagt sie. Bedrückt nicke ich mit dem Kopf. » Ich werde Sie alle wirklich vermissen.«
    » Du darfst nicht weg«, wirft Tony ein, der hinter ihr steht.
    » Ach, Tony, mach es mir bitte nicht noch schwerer. Ich verlasse euch wirklich nur ungern. Aber ich muss morgen früh die erste Fähre erwischen. Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt.«
    » Ihre Tante würde wollen, dass Sie bleiben«, meint Virginia.
    » Ich wünschte, ich könnte.« Bald wird bei mir wieder der Alltag einkehren. Dann wird mir alles hier– die Bücher, die Geister, die windumtoste Insel und Connor– wie ein Traum erscheinen.
    Virginia umarmt mich. » Was wartet denn in Kalifornien auf Sie?«
    » Meine Zukunft.«
    » Du hast noch immer einen halben Tag hier«, merkt da eine vertraute Stimme hinter mir an. Als ich mich umdrehe, steht eine wunderschöne Erscheinung im Flur. In einen grünen Seidensari gehüllt, lässt sie mich an tropische Wälder, Wasserfälle und blühende Lilien denken. An ihren Handgelenken funkeln goldene Armreifen, und sie trägt einige mit Edelsteinen geschmückte Ketten. Eine neu entdeckte Freude strahlt aus ihrem sonnengebräunten, faltigen Gesicht. Das Haar– dicht und lang– fällt ihr über die Schulter. Eine Wolke aus Sandelholz und zartem Blumenduft umweht sie. Und plötzlich bin ich in Bengalen und fahre in einem ratternden Zug nach Norden, vorbei an Senffeldern in die Hügelausläufer von Darjeeling, wo auf terrassenförmig angelegten Feldern duftende Teebüsche wachsen.
    » Tante Ruma?«, sage ich leise und halte die Luft an.
    Als sie die Hand ausstreckt, sind ihre Finger voller Ringe. » Bippy, du siehst reizend aus. Mein Buchladen hat dich geheilt.«
    » Und Indien hat dein Herz gesund gemacht.« Ich habe Tränen in den Augen. Wie kann sie nach einer sicher schweren Operation so quicklebendig wirken? Ich greife nach ihren warmen Händen.
    » Es tut mir leid, dass ich dich so lange allein lassen musste.«
    Ein Mann tritt hinter sie. Er ist nur knapp so groß wie meine Tante, charismatisch und attraktiv. Sein kühnes Lächeln hat etwas Kultiviertes und Majestätisches. Unter seiner Adlernase wächst ein dichter, buschiger Schnurrbart. In seinem gut geschnittenen schwarzen Anzug mit Paisleykrawatte und goldenen Manschettenknöpfen verbreitet er Selbstbewusstsein. Der Geruch frischen Rasierwassers umgibt ihn. Er zieht einen großen Koffer hinter sich her.
    » Subhas Ganguli, zu deinen Diensten.« Er hat einen sonoren, weichen bengalischen Akzent. Subhas streckt mir die Hand entgegen und schüttelt meine kräftig. » Ich habe schon so viel von Rumas reizender Nichte gehört.«
    » Subhas Ganguli?«, wiederhole ich verdattert und blicke zwischen ihm und seinem Koffer hin und her.
    Meine Tante strahlt.
    Inzwischen ist Tony, gefolgt von einigen neugierigen Kunden, erschienen. » Ruma, du siehst absolut hinreißend aus«, verkündet er. » Kein bisschen krank. Und wer ist das?« Er grinst Subhas Ganguli an.
    » Tony, mein Freund«, antwortet meine Tante und tätschelt ihm die Wange. » Ich war auch nicht krank. Ich musste nur etwas gegen meinen Herzschmerz tun.«
    Subhas legt ihr den Arm um die Schulter und zieht sie an sich. » Bei mir ist dein Herz in Sicherheit.«
    Ich sehe erst sie und dann Subhas an. » Das hast du also mit dein Herz in Ordnung bringen gemeint?«
    Als meine Tante ihm in die Augen schaut, flirren unsichtbare Liebesherzen zwischen ihnen in der Luft. » Es war eine ziemliche Herausforderung, ihm ein Visum für Amerika zu beschaffen. Aber es hat geklappt. Die Hochzeit war da um einiges einfacher.«
    » Hochzeit?«, rufe ich aus. Meine Tante ist immer für eine Überraschung gut.
    Nun lächelt sie kokett. » Du hast wohl nicht geglaubt, dass sich jemand in dein verrunzeltes altes Tantchen verlieben könnte?«
    » So habe ich es nicht gemeint.« Ich lächle Subhas freundlich zu. » Ich freue mich für euch. Sicher seid ihr müde von der Reise. Ich koche Tee, und dann müsst ihr mir alles erzählen.«
    In diesem Moment kommen Ma und Dad hereingehastet. Ma trägt eine beigefarbene Hose mit passendem Pulli, Dad Jeans und eine Tweedjacke. Sein

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