Die Büro-Alltags-Bibel
Deutschen Bahn pendeln gar nur zwei Prozent zwischen Heim und Büro. Und das haben die Autofahrer dann davon: Rund 58 Stunden stehen sie pro Jahr im Stau, haben Stauforscher ausgerechnet. Vor allem im November kommt es knüppeldick.
Zwischen 7 und 8 Uhr wird der Verkehr dichter und dichter, das Fahrtempo auf den Spuren synchronisiert sich zunehmend, der Verkehr wird instabil. Jetzt reicht schon eine kleine Unaufmerksamkeit, ein waghalsiger Spurwechsel, eine Kurzschlussbremsung, die zu weiteren Bremsmanövern führt und eine Kettenreaktion auslöst. Im Stauforscher-Jargon heißt das »Stauwelle«. Während draußen der Verkehr ruht, herrscht hinterm Steuer Hochdruck. Sogar sprichwörtlich. Der britische Stressforscher David Lewis von der Universität von Sussex hat einmal über fünf Jahre hinweg 800 Autofahrer mit Elektroden verkabelt, Blutdruck und Herzfrequenz gemessen sowie ihnen vor und nach der Fahrt Blut abgenommen. Die Werte verglich er anschließend mit denen von Jetpiloten und Polizisten in Ernstfallübungen. Was keiner gedacht hätte: Der Stresspegel der Pendler war durchaus vergleichbar mit dem der Kampfpiloten. Ihr Blutdruck stieg sogar rasanter als der beider Kontrollgruppen, teilweise auf bis zu 180. Wie lange jemand auf dem Weg ins Büro braucht, ist dabei nicht einmal entscheidend. Was die Fahrer stresst, sind vor allem die Unwägbarkeiten des Weges: Die Ohnmacht, einem möglichen Stau ausgeliefert zu sein, empfanden die Probanden als »Tortur«, »Zerreißprobe« oder regelrechten »Albtraum«.
»Was lange gärt, wird endlich Wut«, fasste der Aphoristiker Hanns-Hermann Kersten solche Erregungszustände pointiert zusammen. Nur gesund sind sie nicht: Wer innerlich grollt und sich noch lange darüber ärgert, dass die beiden BM W-Fahrer hinter ihm unbedingt herausfinden mussten, wer dichter drängeln kann, der schüttet permanent Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin aus. Und die steigern im Übermaß Blutfett- sowie Zuckerwerte. Wer also morgens chronisch rot- und Rotlichter sieht, lebt mit einem deutlich erhöhten Risiko, eines Tages einen Herzinfarkt oderSchlaganfall zu erleiden. Manche Stresslenker können sich hinterher nicht einmal mehr an zurückgelegte Streckenabschnitte erinnern und leiden an »Pendler-Amnesie«, wie Lewis das Phänomen nennt. Ganz abgesehen davon, dass sie anschließend gerädert und gereizt in der Arbeit erscheinen. Der Psychologe Dwight Hennessy vom Buffalo State College, der das Pendeln ebenfalls wissenschaftlich unter die Lupe genommen hat, beobachtete dabei, dass vor allem Männer ihre im Berufsverkehr angestauten Aggressionen später an den Kollegen auslassen. Mal behinderten sie deren Arbeit, mal boykottierten sie Meetings oder verschafften sich verbal Luft. Hennessys Erklärung wirft nicht gerade das beste Bild auf das männliche Geschlecht: Im Gegensatz zu Frauen hatten die Männer während der 2 1-minütigen Fahrt offenbar ihre gesamten Kapazitäten zur Aggressionsverarbeitung verbraucht. Im Büro fehlte ihnen dann schlicht die Kraft, negative Emotionen im Zaum zu halten.
Ärgern bringt überhaupt nichts, Abwechslung schon
Seit die Menschen der Work-Life-Balance einen höheren Stellenwert beimessen, wechseln sie nicht mehr so schnell ihr privates Umfeld, den Freundeskreis und das gemütliche Zuhause. Lieber fahren sie länger zur Arbeit. Ein klassisches Catch-2 2-Problem . Nach Joseph Hellers gleichnamigem Roman handelt es sich dabei um ein Problem, das seine Lösung immanent unmöglich macht. Benutzer des Betriebssystems Windows kennen vielleicht die Aufforderung: »Falls Ihre Tastatur nicht mehr reagiert, drücken Sie die Escape-Taste.« Der Programmierer laboriert immer noch an dem Bug. Zumindest aber gibt es ein paar Alternativen zum Stress, zum Ärger und zum alltäglichen Verkehrskollaps, wenn Sie schon nicht näher zum Job wohnen wollen. Wer also auf dem Weg ins Büro seine in Wallung geratenen Stresshormone besänftigen will, sollte zwei akademisch unterfütterte Einsichten berücksichtigen:
Erstens: Dauernde Spurwechsel bringen nichts. Außer vielleicht einen erhöhten Adrenalinspiegel oder ein größeres Unfallrisiko. Zahlreiche Verkehrsforscher konnten unlängst nachweisen, dass Spurwechsel den Stau eher verstärken – und zwar, weil viele Fahrerdabei drängeln und nachfolgende Fahrzeuge so zum Abbremsen zwingen. Schneller und deutlich entspannter kommt voran, wer auf seiner Spur bleibt und Sicherheitsabstände einhält. Zudem sollten Autofahrer
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