Die Burg der flammenden Herzen
nonny, hey nonny nonny no!”
Beatrice hätte Sebastians Stimme selbst aus dem Chor von Westminster herausgehört. Sie war nicht so tief wie Johns Stimme und auch nicht so geschmeidig wie die ihres Vaters, doch sie klang so hell und klar wie Quellwasser, das über Steine rann. Da sie sich sicher war, dass er ihr keinen Blick schenken würde, sah sie vorsichtig zu ihm hinüber.
Sie hatte sich geirrt.
Selbst auf diese Entfernung leuchtete das Kornblumenblau seiner Augen. Gewiss waren dies die blauesten Augen in England. Sie wartete darauf, dass der maskenhafte und kaum zu deutende Gesichtsausdruck endlich schwand, der seine Züge hatte erstarren lassen. Stattdessen verfinsterte sich seine Miene, als er sie mit verengten Augen anstarrte. Vor einer Stunde noch hätte diese düstere Miene sie zutiefst verunsichert. Jetzt aber, nach Cecilias Freundlichkeit und dem fröhlichen Klang des neuen Liedes, schöpfte sie neuen Mut.
Herausfordernd hob Beatrice das Kinn und hielt seinem Blick stand. Sie musste ihre ganze Willenskraft aufbringen, um nicht wegzuschauen; es war viel zu lange her, seit sie versucht hatte, jemanden mit ihrem Blick in Verlegenheit zu bringen. Beatrice erschauerte, als ihr einfiel, dass sie binnen Wochen ganz in Sebastians Gewalt wäre. Dann könnte er sie behandeln, wie es ihm gefiel. Aber mit dem Mut war ein Funke der Hartnäckigkeit, die ihrer Familie zu Eigen war, neu erwacht, und sie würde sich ihm nicht beugen. Sie musste der kleinen Stimme in ihrem Innern Glauben schenken, die gesagt hatte, Sebastian würde ihr nichts antun.
Jetzt wandte Sebastian sich ab.
Beatrice sank zurück gegen die Wand, als hätte er sie losgelassen. Seit ihrer Vermählung mit Thomas hatte sie niemandem mehr getrotzt. Wie lange war das her? Drei Jahre, vielleicht vier? Sie konnte sich nicht genau erinnern, doch es kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor.
Ihr Herz, das sie kaum gespürt hatte, als sie Sebastian angesehen hatte, begann wieder schneller in ihrer Brust zu schlagen, als wolle es aufbegehren. Sie war kaum in der Lage, ruhig zu atmen. Wie hatte sie es wagen können? Warum war sie so töricht gewesen? Er würde außer sich vor Wut sein, und das zu Recht. Schlimmer noch, sosehr sie die bittere Wahrheit auch fürchtete, Sebastian war ihr Gemahl, der das Recht hatte, sie mit den Händen zurechtzuweisen. Sie müsste entsetzt sein; gewiss war das Pochen ihres Herzens ein Anzeichen von Angst.
Nein, was sie fühlte, war keine Angst. Angst strömte nicht so schnell durch ihre Adern; und Angst ließ sie wohl kaum aufrecht neben Cecilia auf der Bank sitzen. Das Gefühl, das ihren Herzschlag beschleunigte und ihr beinahe den Atem nahm, war Aufregung. Aufregung, die zugleich gewohnt und fremdartig war.
Warum war sie aufgeregt, wenn sie doch Angst haben müsste?
Während des Abendessens, das aus Ente, Gans, gutem englischem Rindfleisch und Kapaunen bestand, zerbrach sie sich darüber den Kopf. Sie wusste, dass sie von ihrer Familie angesprochen wurde, und sie antwortete auch aufs Geratewohl, doch sie war zu sehr damit beschäftigt, ihre Gefühlslage zu durchdringen. Sie vermochte nicht zu sagen, warum ihr gewagtes Verhalten ihr vertraut vorkam, und verstand nicht, dass sie nicht schreckensbleich geworden war. War es möglich, dass Sebastian nicht wie Thomas war? Sie sah hinüber zum anderen Ende der Tafel, wo er zwischen John und ihrem Vater saß. Der Kerzenschein verlieh seinem gewellten Haar einen goldenen Schimmer und glitzerte in seinem Bartansatz. Er schien beinahe in Gold getaucht zu sein, selbst sein gelbbrauner, kurzer Umhang und das mit Brokat geschmückte Wams. Er kam ihr vor wie ein Heiliger in einer Buchmalerei.
Nein, er war ganz anders als Thomas, allein schon von seinem Äußeren her.
Dienstboten erschienen, entfernten die Tischtücher und brachten verschiedene Käsesorten und Obst. Beatrice suchte sich einen Apfel aus und begann, ihn mit ihrem Messer zu schälen. Äpfel hatte sie schon immer geliebt, vor allem, wenn sie frisch und saftig waren. Und dieser war besonders saftig, denn ihre Hände waren feucht und klebrig. Sie schnitt ein Stück ab, steckte es in den Mund und kaute genüsslich.
Schnell warf sie Sebastian einen Blick zu. Er starrte sie an, und sein Mund war ein dünner, harter Strich geworden. Dann wandte er sich wieder von ihr ab, um sie kurz darauf erneut anzusehen. Wie sehr musste er den Gedanken verfluchen, sie zu heiraten.
Sie konnte es ihm nicht verübeln, dass er sich nach einer
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