Die Burg der flammenden Herzen
meine Schwester?” fragte Cecilia leise.
“Kannst du die Lieder anstimmen, die Emma einst gesungen hat, als wir Kinder waren?”
Lass mich wieder Kind sein, wenn auch nur in der Erinnerung. Lass mich in die Zeit zurückkehren, bevor ich Sebastian von mir stieß.
“Das kann ich, wenn du es wünschst.”
Cecilia entlockte den Saiten der Laute eine einfache Melodie, die ihr Kindermädchen oft gesungen hatte, wenn sie dabei war, Kleidungsstücke auszubessern oder Beatrice und Cecilia beibrachte, auf ihre Nadelstiche Acht zu geben. Beatrice hatte die Näharbeit vom ersten Augenblick an geliebt, während ihre Schwester sich gegen Stoffe, Nadel und Faden gesträubt hatte, als seien sie ihre Todfeinde. Unzusammenhängende Erinnerungen erfüllten sie mit einem Gefühl des Friedens, als habe sich die Unbeschwertheit zahlloser Nachmittage mit der Melodie vermischt, die nun im Raum erklang. Der Aufruhr in Beatrice’ Brust legte sich allmählich, als die hässlichen Erfahrungen angenehmen Gedanken wichen.
Sie sah sich in der alten Kemenate in Wednesfield neben Cecilia auf einer Bank sitzen, wo sie ein Hemd für ihren Vater bestickte, während Cecilia verzweifelt jammerte und leise Flüche ausstieß, da sie sich mit Hohlsaumstichen abmühte, die nicht richtig sitzen wollten. Sie konnte sich an keine einzige gemeinsame Nähstunde mit ihrer Schwester erinnern, die nicht eine gereizte, schweißnasse Cecilia hervorbrachte, die ihr Leinen beschmierte und die Fäden verknotete.
Nun stimmte Cecilia ein anderes Lied der alten Emma an, und Beatrice’ Erinnerungen schweiften weiter in die vergangene Zeit zurück. Jetzt sah sie sich allein nähen, verborgen in dem alten Turm, damit niemand die Reiher sah, die sie in einer aufwändigen Schwarzstickerei auf ein Leinenhemd stickte. Benbury Reiher … ein Hemd für Sebastian. Wie alt mochte sie da gewesen sein? Vierzehn vielleicht? Er hatte ihr damals versprochen, das Hemd immer zu behalten.
“Spiel etwas anderes, Ceci”, sagte John.
Cecilia sah ihre Schwester fragend an.
Soll ich?
Wärme durchströmte Beatrice. Als sie heranwuchsen, waren Johns Worte für Cecilia wie ein Gesetz gewesen, das nicht hinterfragt wurde. Jetzt würde sie ihm gewiss widerstehen – ihrer Schwester zuliebe. “Spiel, was du möchtest”, erwiderte Beatrice. Die innere Wärme entlockte ihr ein Lächeln.
Die Dunkelheit in ihrem Herzen schwand nicht vollends, aber sie riss hier und da auf, wie eine Mauer, die langsam in sich zusammenfiel, nachdem man sie untergraben hatte. In einige Winkel ihres Herzens fiel Licht, hervorgerufen durch die Aufmerksamkeit von Lavendel und Rosenduft in ihrem Wasser und durch die liebenswerten Bemühungen ihrer Schwester, sie zu erfreuen. Ein Lächeln schien die Dunkelheit weiter zu vertreiben. War es möglich, dass ihr Gnade statt Ungemach zuteil wurde?
Cecilia erwiderte ihr Lächeln. “Ich werde spielen, um mir selbst eine Freude zu machen.” Nachdenklich zog sie die Stirn in Falten. “Ich habe das Lied erst kürzlich gelernt, als ich den Hof verließ, sei also nachsichtig. Ich bin noch nicht so geübt.”
Sie stimmte eine lebhafte Melodie an, und während sie spielte, konnte Beatrice keine einzige falsche Note hören. Nachdem sie die Melodie einmal gespielt hatte, begann Cecilia, mit ihrer glockenklaren Stimme zu singen. Die Worte des Liedes waren ein wenig anzüglich, wie es bei Hofliedern oft der Fall war; der Kehrreim war reiner Unfug. “And a hey nonny, hey nonny nonny no!”
Als Cecilia den Refrain zum dritten Mal sang, fiel John mit ein, und die tiefen Töne seines Baritons legten sich über die helle, reine Stimme seiner Schwester. Beatrice lauschte der Musik und wünschte, auch mitsingen zu können, doch sie fürchtete, wie eine Krähe zu krächzen. Sie bewegte ihre Zehenspitzen zu dem ausgelassenen Rhythmus der Melodie, und als John im Takt zu klatschen begann, machte sie unbeholfen mit. Lucia, die an Johns Seite saß, tat dasselbe und lachte dabei. John hatte erklärt, dass sie die englische Sprache kaum beherrsche, aber die englische Musik schien sie sehr wohl zu verstehen.
Ihr Vater sang zusammen mit Cecilia die vierte Strophe. Hier lag die Quelle ihrer musikalischen Ader; die Stimme ihres Vaters war so geschmeidig wie Honig in der Wabe. Neben ihm saß ihre Mutter und klatschte den Takt mit, wobei ihr Gesicht im Kerzenlicht glänzte. Sie hatte nicht mehr Anmut in ihrer Stimme als Beatrice, doch genau wie ihre Töchter liebte sie die Musik.
“And a hey
Weitere Kostenlose Bücher