Die Burg der flammenden Herzen
anderen Frau sehnte. Welcher Mann würde eine Frau haben wollen, deren Seele so schwarz wie die ihre war, obwohl sie versucht hatte, sich durch Beichte und Buße von den Schandflecken zu reinigen? Beatrice seufzte und legte den Apfel auf den Tisch. Was ein jeder von ihnen dachte, war bedeutungslos geworden. Ob sie es nun wollten oder nicht, sie waren einander versprochen, gebunden vor Gott, wenn auch noch nicht vor dem Altar.
Wenn sie diesem Wahn nicht Einhalt gebieten konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Gemahlin zu sein, die er gewiss verlangte. Demütig, gehorsam, zutiefst ehrenhaft. Wie viel Demut würde er ihr abverlangen? Würde sie lediglich den Wünschen Folge leisten müssen, die er offen aussprach? Oder müsste sie wieder unausgesprochenen Befehlen gehorchen und Bestrafungen für unabsichtlichen Ungehorsam erdulden?
Abermals schaute sie hinüber zu Sebastians Platz. Inzwischen hatte ihr Vater ihn für sich beansprucht. Sebastian zog die Stirn in Falten und nickte, während der Earl redete, doch er sah nicht wütend aus, sondern hörte ihm aufmerksam zu.
Aber Zorn war nicht allein ausschlaggebend. Ein Mann konnte Zorn vortäuschen und ihr scheinbar ohne Grund Prellungen zufügen, die so groß und dunkel wie Pflaumen waren. Wenn jemand aus kaltem Herzen zuschlug, schmerzte es genauso, als wenn jemandem die Hand im Zorn ausrutschte.
Sie würde noch wahnsinnig, wenn sie länger am Tisch bliebe, da sie Sebastian immerzu anschauen musste. Auch wenn sie bei seinem Anblick auf Gedanken kam, die ihr im Augenblick nicht recht waren. Er war wie eine Wunde, die sie immer wieder aufreißen musste. Ihr blieb noch Zeit genug, sich mit dieser Wunde abzufinden, wenn sie als seine Gemahlin bei ihm lebte.
Beatrice stand auf. Alle bei Tisch schauten sie an. Ihre Mutter war erzürnt über diese Missachtung des Anstands, Cecilia sah besorgt aus, und John wirkte nachdenklich. Sebastian ballte auf dem Tisch die Hand zur Faust, als ihr Vater sie ansah, doch das war die einzige Regung, die er preisgab. Seiner Miene ließ sich nichts entnehmen.
Der Earl erhob sich nun ebenfalls. “Nun, meine Tochter?” fragte er ruhig.
“Ich bitte um Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen, Vater”, sagte sie leise.
Nachdenklich musterte er sie, und die Stille im Speisezimmer war fast greifbar. Ihr Vater könnte sie nun maßregeln, ihr die Erlaubnis verweigern und sie vor Sebastian und ihrer Familie demütigen, denn sie hatte einfach so gehandelt, ohne nachzudenken.
Er schob den Stuhl zur Seite und machte Platz zwischen seinem Stuhl und dem ihrer Mutter. “Komm her.”
Beatrice folgte der Aufforderung und kniete zu seinen Füßen nieder. Selbst wenn er sie demütigte, wäre das nichts im Vergleich zu früheren Erniedrigungen. Sie hatte bereits so viel erdulden müssen; gewiss könnte sie noch mehr Leid aushalten. Er überraschte sie, indem er ihr eine segnende Hand auf den Kopf legte. Als sie sich erhob, sagte er: “Komm näher, Liebes.” Sie folgte seinem Wunsch, und er küsste sie auf die Wange und tätschelte zärtlich die andere. Zuletzt hatte er sie in dieser Weise geküsst, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Sie drückte ihre Wange gegen seine raue Haut.
Ich wünschte, ich wäre die Frau, zu der du mich erzogen hast.
“Ich gestatte dir, dich zurückzuziehen.”
Ihre Mutter sprach mit sehr leiser Stimme: “Mylord.”
Doch der Earl legte ihr eine Hand auf die Schulter. “Nein, Pippa.”
Langsam lehnte die Countess sich zurück. Nie stritten sie sich öffentlich oder vor den Augen ihrer Kinder. Beatrice hatte sich schon oft gefragt, ob sie überhaupt jemals in Streit gerieten.
“Geh, mein Kind”, sagte ihr Vater.
Sie nahm eine Kerze, um den Weg zu ihrem Schlafgemach zu finden, doch sie sorgte für mehr Schatten als Licht. Die Dunkelheit schien zu beben, als sei sie voller Dämonen. Nein, keine Dämonen; ihre wirren, ungebärdigen Gedanken warfen jene Schatten.
Vor ihrem Gemach blieb sie stehen und war nicht in der Lage, die Tür zu öffnen. Heute schien sie den längsten Tag ihres Daseins durchlebt zu haben, doch sie fühlte sich nicht erschöpft. In ihren Gliedern spürte sie einen beängstigenden Tatendrang, jene Art von Tatkraft, die sie einst in Wednesfield für Ausritte und Spaziergänge genutzt hatte. Doch jetzt konnte sie unmöglich ausreiten, in der gefährlichen, tödlichen Dunkelheit. Aber sie konnte auch nicht untätig sein. Wo sollte sie hingehen? Wo fände sie einen ruhigen Ort,
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