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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Gehen.
    »Mathis, warte doch!«, flüsterte Agnes. »Du kannst nicht …« Doch er war bereits auf dem schmalen Pfad, der nach unten auf den Grat führte.
    Leise schimpfend folgte Agnes ihm. Ein leichtes Kribbeln kroch ihr über den Rücken. Sie erinnerte sich an jene Nacht vor fast zwei Monaten, als sie gemeinsam im Wald Parcival gefunden und kurz darauf diese seltsamen Fremden gesehen hatten. Die Kerle hatten nichts Gutes im Schilde geführt. Waren das etwa wieder die gleichen Männer wie damals?
    Schon bald standen sie auf dem breiten Bergrücken, der wie eine Achse die drei Burgen miteinander verband. Zwischen den Buchen, Kastanien und Eichen ragten einige natürliche Felstürme empor, auf denen sich früher Wachposten befunden hatten. Der Weg schlängelte sich an ihnen vorbei, wobei er sich gelegentlich teilte und über schmale Trassen hinauf in die Felsen führte.
    Vorsichtig schlichen sie im Mondlicht auf Burg Scharfenberg zu, die sich auf der hintersten Anhöhe des Sonnenbergs befand. Kurz verloren sie die Lichter aus den Augen, doch schon bald entdeckten sie sie wieder in der Senke, direkt unterhalb der Burg. Die Fackeln, oder was immer da leuchtete, standen nun ganz nah beieinander. Außer dem leisen Rauschen des Windes war kein Laut zu hören. Plötzlich bildeten die Lichter einen gleichmäßigen Zug, setzten sich in Bewegung …
    … und verschwanden.
    Mathis war hinter einem Felsen zur Senke hin unterwegs, nun hielt er verdutzt inne.
    »Verdammt, wo sind sie hin?«, flüsterte er. »Haben sie die Fackeln etwa gelöscht?«
    »Alle auf einmal, und so schnell? Wie soll das gehen?« Agnes runzelte die Stirn, aber auch ihr fiel nichts Besseres ein.
    »Sie werden ja wohl kaum alle zusammen in eine Erdspalte gefallen sein, die sich plötzlich aufgetan hat«, blaffte Mathis.
    Agnes schwieg. Wieder dachte sie an die Sage von Barbarossa und den Zwergen. Das kleine Volk war dafür bekannt, ganz plötzlich in Erdlöchern zu verschwinden. War dies vielleicht wirklich der Ort, wo der alte Kaiser schlief, bis ihn die Welt erneut brauchte?
    Und wenn diese Zeit schon bald anbricht?
    Ein leichter Schwindel überkam sie, ähnlich dem, den sie vor einiger Zeit im Kerker des Bergfrieds verspürt hatte. Was war nur mit ihr los? Fing sie nun bereits an, an Geschichten zu glauben, die man kleinen Kindern am Kaminfeuer erzählte?
    »Was es auch immer war«, unterbrach Mathis ihren Gedankenfluss, »es ist weg. Und im Dunkeln brechen wir uns dort unten in der Senke nur die Knochen.« Achselzuckend wandte er sich ab. »Lass uns umkehren und morgen bei Tageslicht noch mal nachsehen. Ich habe Mutter versprochen, nicht zu spät heimzukommen. Sie macht sich schon genug Sorgen.«
    Schweigend gingen sie über den Grat zurück zum Trifels. Als sie den Hügel des Anebos passierten, glaubte Agnes oben auf dem Felsen ein weiteres Licht huschen zu sehen. Sie schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war das Leuchten verschwunden. Mühsam zügelte sie ihren Atem.
    Manchmal glaubte sie, dass die Leute tatsächlich recht hatten, wenn sie sie für seltsam hielten.
    In dieser Nacht schlief Agnes erst spät ein. Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie zum Fenster ihrer Kemenate ging und nach draußen in die Finsternis blickte. Doch die rätselhaften Lichter blieben verschwunden. Der Wind rauschte durch die Bäume nahe der Burg, er ließ die Blätter wispern, beinahe so, als würde dort draußen jemand leise ihren Namen rufen. Es war der ganze Wald, ja der Berg selbst, was da flüsterte und rumorte!
    »Agnesssss, Agnesssss, Agnesssss …«
    Im Halbschlaf wanderten Agnes’ Gedanken einmal mehr zurück zu den Erzählungen ihrer Kindheit. Sie sah vor sich eine unterirdische Kammer, in der der Kaiser Barbarossa an einem steinernen Tisch saß. Sein Bart war durch die Platte gewachsen, und die toten Augen stierten in die kalte, feuchte Dunkelheit. Ein Zwerg hielt neben ihm Wache, und von fern war das Krächzen der Raben zu hören, die um den Berg kreisten. Agnes dachte an die uralte Prophezeiung, Barbarossa werde zurückkommen, wenn das Reich in Gefahr sei.
    Der Ring, den sie unter ihrem Nachthemd trug, wog plötzlich so schwer wie ein Mühlstein. Sie nahm ihn ab, legte ihn unter ihr Kopfkissen und starrte hinauf zur holzvertäfelten Decke des Bettes, deren Fugen sich wie flüsternde Lippen öffneten und schlossen.
    Agnesssss … Agnesssss … Agnesssss …
    Erst lange nach Mitternacht erlöste sie der Schlaf. Und diesmal fand sie sich

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