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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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das heißen, du hast nur wegen einer Ahnung den Ring weggegeben?«, knurrte er. »Du warst die Hüterin, Elsbeth! Der Orden hatte dir den Ring zur Aufbewahrung anvertraut. Was ist nur in dich gefahren?«
    »Der … der Vogel … er war wie ein Zeichen«, erwiderte die Hebamme unsicher, »wie ein Bote aus einer anderen Zeit.« Sie reckte das Kinn vor. »Und habe ich nicht recht behalten? Was wäre geschehen, wenn diese Männer den Ring bei mir gefunden hätten? Vergiss nicht, das Geheimnis, das wir hier hüten, kann das ganze Reich, kann ganz Europa verändern! Meinst du, die Männer hätten artig nach der Herkunft des Rings gefragt und wären dann wieder abgezogen?« Sie lachte verzweifelt auf. »Nein, sie hätten mich gefoltert, bis ich ihnen unser Geheimnis offenbart hätte!«
    »Warum hast du den Ring dann nicht einfach irgendwo versteckt?«, mischte sich nun ein weiteres Mitglied der Bruderschaft ein. Der Seiler Martin Lebrecht gehörte dem Orden schon seit vielen Jahren an, sein Wort hatte Gewicht unter den Mitgliedern. »Du hättest ihn im Wald vergraben oder einem anderen von uns zur Aufbewahrung geben können. Jeder hätte das verstanden.«
    »Meinst du, daran hätte ich nicht gedacht, Martin?« Die Hebamme lachte verzweifelt auf. »Doch was hätte das geändert? Die Männer hätten mich gesucht, gefunden und dann ebenso gefoltert, bis ich ihnen das Geheimnis verraten hätte.«
    »Das sind Ausreden, Elsbeth!«, schimpfte Diethelm Seebach. »Du hast Angst gehabt. Und wegen deiner Angst steht nun vielleicht das Schicksal des gesamten Reiches auf dem Spiel!«
    »Du hast recht, Diethelm. Ja, ich hatte Angst. Ich glaube kaum, dass ich solche Schmerzen ausgehalten hätte. Das Feuer, die Schläge, das Reißen der Sehnen, das Brechen der Knochen. Hättest du es ausgehalten, Diethelm? Sag, hast du keine Angst?«
    Diethelm Seebach zögerte, dann verschränkte er trotzig die breiten Arme vor der Brust und schwieg.
    »Bleibt die Frage, woher die Männer wussten, dass der Ring bei Elsbeth war«, sagte der Vorsitzende nachdenklich und sah jeden Einzelnen von ihnen genau an. »Nur die Bruderschaft weiß, dass Elsbeth die Ringhüterin ist. Das heißt, einer von uns muss geredet haben.«
    Elsbeth Rechsteiner wiegte den Kopf. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Vielleicht ist es so, vielleicht aber sind die Männer nur zu mir gekommen, um mich zu befragen. Wie gesagt, sie waren auch bei anderen Hebammen in der Gegend.« Sie selbst hatte sich bereits ihre Meinung gebildet, aber sie hütete sich, diese hier öffentlich kundzutun.
    Wem kann ich überhaupt noch trauen? Wenn jemand ­unter uns ein Verräter ist, sollte er so wenig wie möglich wissen.
    »Wir müssen trotzdem wachsam bleiben.« Der Vorsitzende straffte die Schultern. »Ein Verräter in unseren Reihen wäre das Ende.« Plötzlich begannen über ihnen die Glocken zu läuten. Der oberste Bruder nahm den weißen Umhang ab und war nun wieder nichts weiter als ein alter Mann mit einem runzligen Gesicht. »Wir sollten nach oben gehen, bevor der Gottesdienst anfängt«, beendete er müde ihre Zusammenkunft. »Der Pfarrer wird sonst noch misstrauisch. Wir dürfen nichts mehr riskieren.« Noch einmal schüttelte er den Kopf. »Ein Falke als Ringträger«, murmelte er. »Möge ihn der Herrgott in sichere Gefilde führen.«
    Dann gingen sie alle mit gesenktem Haupt nach oben, brave Brüder und Schwestern auf dem Weg zur sonntäglichen Messe.
    Die Glocken klangen in ihren Ohren wie Totengeläut.

KAPITEL 7
    Spanisches Hochland, 16. Mai,
    Anno Domini 1524, später Nachmittag
    och über Ausläufern des iberischen Gebirges flatterte eine weiße Taube und brachte Nachricht aus fernen Ländern.
    Der kleine Vogel hatte bereits einen weiten Weg hinter sich. Gemeinsam mit seinen zwei Gefährten war er noch vor Morgengrauen in Montpellier aufgebrochen. Doch eine der beiden anderen Tauben hatte ein Adler in der Luft gerissen, die zweite, eine schwarzgesprenkelte, hatte sich im Netz eines hungrigen Ziegenhirten verfangen und war als mittägliches Mahl verspeist worden. Die weiße Taube war die letzte der drei, und nach den über fünfhundert Meilen Flug, die sie über schneebedeckte Berge, tiefe schattige Täler und verstreute Grenzfestungen geführt hatten, war ihr Flügelschlag nun matt und langsam geworden.
    Das Flattern wurde augenblicklich schneller, als endlich die weißen Mauern von Valladolid auftauchten. Dies war ihr Zuhause. Hier war sie geboren worden, hier hatte sie

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