Die Burg der Könige
»Wenn’s bloß der wäre! Hast du nicht das von der alten Hebamme Elsbeth Rechsteiner gehört? Spurlos verschwunden ist sie, wie durch Zauberei, und die Leute reden von einem schwarzen Mann, der in der Gegend sein Unwesen treibt.«
»Schwarzer Mann, pah!«, gab Gunther knurrend zurück. »Du abergläubischer Narr! Ich hab dir schon dreimal gesagt, das war der Sauhund Hans von Wertingen. Kein schwarzer Mann, sondern der Schwarze Hans ist das! Da siehst du, was geschieht, wenn die Leute mit dem Tratschen und Fabulieren anfangen.« Grimmig betrachtete er das waldige Gelände. Oben auf einem nicht weit entfernten Hügel thronte eine der vielen Burgen der Gegend, durch die Tannen hindurch waren auf den flacheren Hängen Reihen von Weinstöcken zu sehen. Der Karren rollte gemächlich vor sich hin.
»Drüben in Richtung Eußerthal und weiter nach Speyer zu mag es zurzeit gefährlich auf den Straßen sein«, fuhr Gunther beruhigend fort. »Aber hier auf der Straße nach Neukastell? Direkt unter den Augen des herzoglichen Verwalters?« Der Burgmann lachte, allerdings klang sein Lachen etwas bemüht. »Das wagt nicht mal der Schwarze Hans. Außerdem …« Er senkte verschwörerisch seine Stimme. »Wer weiß schon, dass wir mit den herzoglichen Abgaben unterwegs sind? So wie wir zwei aussehen, könnten wir genauso eine Fuhre Klaubholz durch den Wald kutschieren.«
Tatsächlich trugen die beiden Burgmänner über ihren Kettenhemden zerschlissene Bauernkittel, die Eisenhauben waren unter einfachen Kapuzen verborgen. Seit fast zehn Jahren arbeiteten die ehemaligen Bauernknechte nun schon als Wachen auf dem Trifels. Bislang war ihr Leben meist ruhig und gemächlich verlaufen. Sie hielten die Waffen mehr schlecht als recht in Schuss, flickten hier und da eine löchrige Mauer oder halfen bei der Ernte auf den Schlossäckern. Nun fühlten sie zum ersten Mal echte Angst. Außer Martin von Heidelsheim und der verschwundenen Hebamme Elsbeth waren noch weitere Menschen in der Gegend Opfer von Räubern und Mördern geworden. Burgvogt Philipp von Erfenstein hatte deshalb beschlossen, die noch ausstehenden Abgaben heimlich nach Neukastell bringen zu lassen. Verborgen unter löchrigen Decken, befanden sich auf dem Karren sechs Säcke Korn, ein paar Pfund wertvolles Salz, zwei Fässer Pökelfisch, geräucherter Schinken und ein Käfig schnatternder Gänse. Außerdem hatte Sebastian in einer Börse unter dem Wams zwanzig frisch geprägte Rheinische Goldgulden und einige Schmuckstücke, von denen sich Burgvogt Philipp von Erfenstein schweren Herzens getrennt hatte.
»Wie lange mag es noch sein bis Neukastell?«, fragte er ängstlich seinen Kameraden und tastete nach dem Geldbeutel.
Gunther zuckte mit den Schultern. »Eine Stunde vielleicht? Wenn wir diesen verfluchten Hohlweg endlich hinter uns haben, geht es steil den Berg hoch. Dann sieht man die Burg schon.«
»Verdammt, es wird wirklich Zeit, dass wir dem Schwarzen Hans das Licht ausblasen!«, fluchte Sebastian. »Zu Zeiten meines Großvaters war diese Gegend noch so sicher wie ein Gemüsegarten. Doch seitdem es mit den Rittern bergab geht, sitzt auf jeder zweiten Burg ein Hungerleider und Halsabschneider. Und der Kaiser kauft sich ausländische Landsknechte wie unsereins ein paar Humpen Bier. Was für eine Welt ist das!«
Gunther saugte nachdenklich an seinem Strohhalm. »Wirst sehen, der alte Erfenstein muss auch noch unter die Raubritter gehen. Noch ein, zwei schlechte Ernten, dann ist es aus mit Tugend, Turnier und Minnesang. Und wir dürfen dann wie von Wertingens Schergen den Reisenden am Bindersbacher Pass auflauern.«
»Bevor ich Kindern und alten Weibern die Kehle durchschneide, werd ich lieber Landsknecht und zieh in den Krieg gegen die Franzosen«, brummte Sebastian.
»Und schneidest dort Kindern und alten Weibern die Kehle durch, ha!« Gunther lachte und spuckte den Halm aus. »Na ja, mir kommt alles besser vor, als als Bauer auf der Scholle buckeln zu müssen. Was für ein …«
Er stockte, als nicht weit von ihnen entfernt eine Krähe in den wolkenverhangenen Himmel flatterte. Es folgten einige weitere, die aus einem Dickicht ganz in der Nähe aufstiegen.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Gunther leise.
»Wird wohl ein Tier gewesen sein, das sie aufgeschreckt hat«, versuchte Sebastian ihn und sich selbst zu beruhigen. »Ein Fuchs oder noch was Größeres.«
»Bei Gott, etwas … viel Größeres!« Kreidebleich deutete Gunther nach vorne, wo die Straße eine
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