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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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dachte, die sind schon lange ausgestorben.«
    Entrüstet schüttelte Melchior von Tanningen den Kopf. »Bei Gott, nein! Ist die Liebe ausgestorben? Die Musik? Die großen Taten? Solange es dies alles gibt, wird es auch uns Barden geben. Wir sind die Berichterstatter in diesen unru­higen Zeiten. Und oft sind wir auch diejenigen, die Trost spenden, wenn Trauer die Sinne umwölkt.« Er griff zu seiner Laute und schlug einen Akkord an, der gleichzeitig fröhlich und melancholisch klang. Dazu sang er mit hoher Stimme einen kurzen klagenden Vers.
    »D’amor m’estera ben e gent, s’eu ma dona vis plus sovent …«
    »Das war Okzitanisch«, bemerkte Agnes verwundert.
    Melchior von Tanningen machte ein erstauntes Gesicht. »Ihr kennt die alte Sprache der Sänger und Barden?«
    »Nun, nur ein wenig. Ich habe darüber gelesen, aber ich habe sie noch nie so schön vernommen.«
    Ein seliges Lächeln zog sich über Tanningens Lippen. »Dann seid Ihr wahrlich eine Dame. Wäre es vermessen, nach Eurem Namen zu fragen?«
    »Äh, ich bin Agnes von Erfenstein. Die Tochter des Trifelser Burgvogts.«
    Kurz schien der Barde verblüfft, dann strahlte er. »Der Trifels! Stätte Barbarossas, Gefängnis von Richard Löwenherz, Hort der legendären Reichskleinodien! Was für einen schöneren Ort könnte es für einen Barden geben, ihn zu besingen! Der Trifels war einer der Gründe, warum meine Reise mich hierher in die Pfalz führte.« Er verbeugte sich tief. »Jungfer Agnes, es ist mir eine Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen.«
    Wieder musste Agnes schmunzeln. Noch nie hatte ein Mann so mit ihr geredet.
    »Ihr sagt, Ihr seid ein Ritter«, erwiderte sie schließlich. »Warum wohnt Ihr dann nicht auf Eurer Burg?«
    Melchior von Tanningen erhob sich wieder, er wirkte leicht verlegen. »Nun, zu meinem tiefsten Bedauern teile ich sie mir mit zweien meiner Brüder. Ein hässlicher Erbstreit. Ich war es leid und bin deshalb in die Welt hinausgezogen. Durch Flandern, Sachsen und Schweden bin ich gereist. Aber auch in Venedig, im fernen Aragon und dem ach so heißen Kastilien, wo die Sonne wie Feuer vom Himmel brennt, war ich schon. Wo immer hohe Herren einen Barden brauchen, da bleibe ich.«
    »Und nun ist Euer Herr der Graf Friedrich von Löwenstein-Scharfeneck?«
    Melchior von Tanningen nickte. »Ebenjener. Nach unruhigen Zeiten, erst unlängst im umkämpften Italien, hielt ich es für besser, das verschlafene Deutsche Reich zu meiner vorläufigen Bleibe zu machen. Der Graf erlaubt mir freund­licherweise, die Gegend zu durchstreifen, wenn ich ihn dafür am Abend mit Liedern über den stillen Wald unterhalte.«
    »Wenn der nur so still wäre!«, seufzte Agnes.
    »Was meint Ihr damit? Gibt es etwa auch hier Abenteuer und Questen zu bestehen?«
    »Jedenfalls keine, die sich zu besingen lohnen. Dafür sind sie zu dreckig und wohl auch zu gewöhnlich.« Lachend warf Agnes ihre Haare nach hinten und musterte ihren galanten Begleiter. Er war bestimmt mehr als zehn Jahre älter als ­Mathis, trotzdem erinnerte er sie in gewisser Weise an den Freund. Und das nicht nur wegen der roten Haare. Er hatte das gleiche unstete, flatterhafte Wesen, die gleiche jungenhafte Neugier. Darüber hinaus jedoch schien dieser Melchior aus einer anderen Welt zu stammen. Einer Welt, die Agnes nur aus ihren Büchern und Träumen kannte und die sie schon so oft herbeigesehnt hatte. Nun stand diese Welt vor ihr in Gestalt eines zierlichen drolligen Mannes.
    Mittlerweile hatten sie das Burgtor erreicht. Noch immer luden Fuhrknechte die schweren Kisten und Truhen ab, Karren rumpelten an ihnen beiden vorbei.
    »Eigentlich wollte ich dem Grafen gerade einen Besuch abstatten«, sagte Melchior und ließ zwei Männer vorbei, die eine schwere Kommode in den Burghof schleppten. »Bestimmt wäre er hocherfreut, Eure Bekanntschaft zu machen. Was ist? Wollt Ihr mich begleiten?«
    »Äh, ich kenne den Grafen bereits«, erwiderte Agnes. »Gerne ein andermal. Nun muss ich zunächst heim zu meinem Vater, bevor er sich Sorgen macht.«
    Melchior nickte eifrig. »Ich verstehe. Dann lasst mich Euch wenigstens zu Eurer Burg geleiten. Damit diese groben Gesellen Euch nicht wieder belästigen.«
    »Danke, aber das wird nicht nötig sein. Ich weiß mir schon selbst zu helfen. Außerdem wird der Graf Euch sicher schon erwarten.« Agnes machte einen Knicks. »Gehabt Euch also wohl.«
    Mein Gott, jetzt fange ich bereits an, genauso gestelzt zu sprechen wie er! , dachte sie.
    Melchior von Tanningen

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