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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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zu hören, doch es war zu fern, um ihnen gefährlich zu werden. Agnes taumelte mehr, als dass sie ging, den Falknerhandschuh hatte sie längst verloren. Sie stürzte und fiel ins Bachbett, spürte aber kaum, dass sie sich ein Knie aufgeschlagen hatte. Das schreckliche Ende ihres geliebten Puck, die Flucht des Falken, der ohrenbetäubende Knall, der blutige Torso des Mannes – all diese Bilder spukten gleichzeitig durch ihren Kopf. Sie stolperte hinter Mathis her, bis sie endlich wieder aus dem Bach stiegen. In einem weiten Bogen liefen sie auf den Burgberg zu. Tränen rannen ihr übers Gesicht, und immer wieder unterdrückte sie ein Schluchzen. Der Tag, der so schön begonnen hatte, hatte sich in einen wahren Alptraum verwandelt.
    Erst als sie die Schlossäcker erreicht hatten und der Trifels grau und mächtig über ihnen aufragte, wusste Agnes, dass sie in Sicherheit waren.
    Von ihrem Falken fehlte jede Spur.
    ***
    Nicht weit entfernt, in einer Hütte im Wald, warf die alte Heb­amme Elsbeth Rechsteiner ein Scheit ins Feuer und sah zu, wie blaue Flammen um das Holz züngelten. Auf einem Dreibein darüber brodelte zischend ein Kessel. Der Rauch zog nur schlecht durch eine Öffnung im Reetdach ab, so dass die kleine Kate von Qualm erfüllt war.
    Nachdenklich rührte Elsbeth in dem Topf, in dem ein paar blasse Blüten und Birkenblätter schwammen. Bei dem Knall vorhin war sie kurz zusammengezuckt und hatte ein leises Gebet gemurmelt, auch wenn sie nicht wusste, was ihn verursacht hatte. Doch in letzter Zeit kam ihr der Wald, der von Kindheit an ihr Zuhause gewesen war, dunkel und gefährlich vor. Wie ein böses Wesen, das, wenn sie stundenlang auf überwucherten Wildwechseln dahinwanderte und Kräuter sammelte, mit Ästen und Zweigen nach ihr griff. Immer mehr Raubritter und Banditen trieben in der Gegend ihr Unwesen, ausgezehrte Wölfe und Keiler, so groß wie Bären, waren zu einer wahren Plage geworden, und der Hunger verwandelte sogar manchen sonst friedliebenden Dorfbewohner in eine Bestie.
    Doch dass Elsbeths Hand jetzt zitterte, während sie das Feuer mit trockenen Zweigen fütterte, lag nicht an den Räubern, den wilden Tieren und dem Knall, sondern an den drei Männern, die hinter ihr an dem kleinen abgewetzten Tisch saßen. Sie kannte sie schon seit vielen Jahren, aber bislang hatten sie sich stets heimlich in einem Keller unter der Annweiler Fortunatakirche getroffen. Ihr plötzlicher Besuch hier in ihrer Hütte machte Elsbeth deutlich, wie ernst die Lage war.
    Der Feind war zurückgekommen.
    Eine ganze Weile hatten sie alle geschwiegen, so dass nur der warnende Ruf des Eichelhähers von draußen zu hören war. Jetzt erst drehte sich die Hebamme zu den drei Männern um.
    »Und die Nachrichten stimmen?«, fragte sie mit einem Rest von Zweifel in der Stimme. Elsbeth war mittlerweile über sechzig, Alter, Arbeit und Sorgen hatten tiefe Falten in ihre Haut gegraben. Nur ihre Augen leuchteten noch so wach wie in jungen Jahren.
    Einer der Besucher nickte betreten. Auch ihn hatte das Alter gezeichnet: Die Hände, die einen Becher warmen Kräutersuds umklammerten, waren krumm von Gicht, das Gesicht zerfurcht wie ein frisch gepflügter Acker. »Sie sind wieder unterwegs, Elsbeth«, murmelte er, »kein Zweifel. Mein Vetter Jakob hat sie in Zweibrücken gesehen, dort haben sie das Archiv durchstöbert, aber wohl nichts gefunden. Wer weiß, wohin sie nun reiten. Worms, Speyer, vielleicht Landau … Es kann nicht mehr lange dauern, dann sind sie hier in Annweiler.«
    »Nach all den Jahren!« Elsbeth Rechsteiner seufzte und starrte mit trüben Augen in die Flammen. Trotz des Feuers war ihr kalt, der Märzfrost saß ihr in den alten Knochen. »Ich dachte, sie hätten aufgegeben«, fuhr sie schließlich fort. »Es ist doch schon so lange her, und wir haben das Geheimnis so gut gehütet! Beginnt nun der ganze Schrecken wieder von vorn?«
    »Sie werden nichts finden, glaub mir«, erwiderte einer der beiden anderen Männer beruhigend. Er war deutlich jünger, die schmutzige Lederschürze zeigte, dass er aus der Werkstatt hierhergeeilt war. »Die Spuren sind gut verwischt, nur die Bruderschaft weiß davon. Und von uns wird keiner reden, kein Einziger! Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
    Elsbeth Rechsteiner lachte leise und schüttelte den Kopf. »Wie kannst du dir da so sicher sein? Diese Männer sind schlau, und sie sind grausam wie Bluthunde! Du weißt doch, was sie das letzte Mal verbrochen haben. Sie kennen keine

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