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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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noch nie bei ihm gesehen hatte. »Niemandem! Verstehst du? Und auch deine Träume behalt für dich.«
    Agnes nickte zögerlich. »Ich … verspreche es. Aber war­um …«
    »Ruh dich jetzt aus.« Plötzlich lächelte der Pater wieder so gütig, wie sie es seit ihrer Kindheit kannte. »Geh morgen reiten oder lass Parcival fliegen und versuche, nicht ständig zu grübeln. Ich werde wohl schon bald deinem Vater zur Ramburg folgen, um die Verletzten dieser gottverfluchten Fehde zusammenzuflicken. Daher kann ich dir also getrost die Woche freigeben.« Er zeichnete ein Kreuz in die Luft. »Der Herr segne und beschütze dich.«
    Mit krummem Rücken humpelte Pater Tristan zu seiner Schlafkammer, die neben der Küche lag. Agnes sah ihm lange nach, während sie nach dem Ring unter ihrem Nachthemd tastete. Dann machte sie sich mit klopfendem Herzen auf den Weg zurück in ihr Bett.
    Doch trotz ihrer Müdigkeit fand sie keinen Schlaf.

KAPITEL 10
    Schloss Blois im Loiretal, Frankreich,
    1. Juni, Anno Domini 1524
    önig Franz I. blickte auf das blasse eingefallene Gesicht seiner Frau, über der ein paar brummende Schmeißfliegen kreisten. Ihr Atem ging flach, bis zu ihm waren die fau­ligen Ausdünstungen zu riechen, die der ausgemergelte Körper verströmte. Ihre Hoheit Königin Claude von Frankreich war nie eine Schönheit gewesen, sie hinkte, hatte schlechte Zähne und war schon als Kind meist kränklich gewesen. Aber sie war nun einmal die Tochter des vorigen Königs Ludwig XII., nur die Heirat mit ihr hatte Franz, der aus einer königlichen Seitenlinie stammte, den Thron gebracht. Dafür nahm man vieles in Kauf, auch eine hässliche, erzfromme Gattin.
    Aber das wird ja nun hoffentlich bald vorbei sein.
    Gesenkten Hauptes zog der König einen mit Gold und Dia­manten verzierten Rosenkranz hervor und murmelte eine Lita­nei von unzähligen Ave-Marias. Hinter ihm stand Claudes langjähriger Beichtvater Johannes, ein hagerer Franziskanermönch in zerschlissener Kutte. Franz konnte die Blicke dieses bi­gotten Eiferers fast wie Nadelstiche in seinem Rücken spüren.
    »Sie schläft seit zwei Tagen«, murmelte der Priester, als die Gebete verhallt waren. »Es tut mir leid, Euer Majestät, aber es wird nun wohl nicht mehr lange dauern, bis Eure geliebte Frau uns verlässt und ihre Seele in den Himmel auffährt. Höchstens noch ein paar Wochen. Das Leiden hat bald ein Ende.«
    Franz nickte betrübt, während der Rosenkranz geschwind durch seine Finger glitt. Wie so oft benutzte er die kleinen elfenbeinernen Perlen zum Rechnen. Jede von ihnen stellte eine Kompanie dar, die er im Geiste in die verschiedenen Teile seines Landes entsandte. Seit Monaten hagelte es nun schon Niederlagen. Dieser Verräter Charles de Bourbon, ehemaliger Herzog und Oberbefehlshaber der französischen Armeen, hatte sich mit dem Kaiser verbündet, neue Truppen wurden ausgehoben, um Burgund zu erobern; der englische König Heinrich VIII. plante sogar, gegen Paris zu ziehen. Und er, Franz I., König von Frankreich, musste hier den trauernden Ehemann spielen! Schon der Gestank in diesem todesgeschwängerten Raum hielt ihn vom Nachdenken ab. Ungeduldig steckte er den Rosenkranz wieder unter sein samtenes Wams und richtete sich zu seiner ganzen Größe von weit über sechs Fuß auf.
    »Öffnet ein Fenster«, befahl er den drei Quacksalbern, die sich im hinteren Bereich des Krankenzimmers herumdrückten. »Es stinkt zum Gotterbarmen! Oder wollt Ihr meine Frau ersticken?«
    »Euer Majestät, wir fürchten, dass die feuchte Flussluft …«, begann einer der Ärzte vorsichtig, doch Franz winkte ab.
    »Seit Jahren schon kuriert ihr an ihr herum!«, erwiderte er barsch. »Aderlass, Blutegel, zu Mehl vermahlene Kröten, weiß der Kuckuck, was noch … Und was hat es gebracht? Nichts! Nur Ihr selbst seid dabei reicher und fetter geworden. Nun öffnet gefälligst das Fenster, und dann raus mit Euch, alle! Aber schnell!«
    »Aber der geistliche Beistand …«, gab der Franziskanerpriester zu bedenken.
    »Raus, habe ich gesagt! Oder ich lasse Eure Köpfe auf die Zinnen des Schlosses spießen! Raus !!! «
    Die Männer öffneten eilig das Fenster und entfernten sich unter mehrfachen Verbeugungen. Endlich war Franz mit seiner todkranken Frau allein. Er setzte sich wieder neben sie und betrachtete den Flug der Schmeißfliegen. Kühle und angenehm frische Luft durchströmte den Raum.
    »Claude, Claude«, murmelte er. »Einen langen Weg sind wir zwei gegangen. Wenn dein Vater dich

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