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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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den Schultern. »Das war das Ende des Trifels als Mittelpunkt des Reiches, von diesem Zeitpunkt an verfiel die Burg mehr und mehr. Von ihrer einstigen Größe künden heute nur noch Balladen und Geschichten.«
    Agnes beugte sich vor, zwischen ihnen auf dem Tisch lag noch immer die verwitterte Chronik. Sie zog das Buch zu sich heran und deutete auf den jungen Ritter. »Pater, ich habe wieder von Johann geträumt«, begann sie mit gedämpfter Stimme. »Ich … ich glaube, ich habe seine Flucht miterlebt. Da war eine Frau an seiner Seite, eine Frau und ein Kind. Wisst Ihr vielleicht, wer …«
    »Agnes, hör endlich auf!« Zornig schlug der Mönch mit seiner faltigen Hand auf den Tisch. »Glaub mir, du spinnst dir da etwas zusammen! Träume von früheren Zeiten, was für ein Mumpitz!« Er fasste sie am Ärmel ihres Nachthemds. »Ich sag dir, was geschehen ist. Du hast von einem edlen Ritter geträumt, nun gut. Das mag bei jungen Frauen öfter vorkommen. Doch als du das Bild von Johann in der Chronik gesehen hast, da hast du dir nur eingebildet , dass dies jener Ritter ist! Und jetzt fabulierst du einfach weiter! Ich bin sicher, ich könnte dir jede Geschichte erzählen, sie würde immer zu einem deiner Träume passen. Deine Phantasie spielt dir einen Streich, Agnes, mehr nicht!«
    »Aber da war diese Frau und das Kind! Ich selbst war diese Frau, ich habe ihr Gesicht gesehen! Und ich habe davon geträumt, dass einige Männer ihren Tod geplant haben.« Agnes presste trotzig die Lippen aufeinander. Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: »Ich … ich glaube, ich habe sie vorhin gehört, ihr Wimmern, es schien irgendwie aus den Mauern der Burg zu kommen. Und dann war da ein Pochen …«
    Pater Tristan lachte erleichtert auf. »Siehst du, jetzt kann ich dir sogar beweisen, dass alles nur Einbildung ist. Dieses Pochen, das war ich! Ich war draußen im Burghof, um im Garten Heilkräuter zu sammeln. Du weißt, bei Vollmond wirken sie am stärksten. Die dumme Hedwig hatte die Tür hinter mir verschlossen, und ich musste lange klopfen, um wieder eingelassen zu werden. Das ist alles.« Stöhnend erhob er sich. »Ich hätte dir nie diese alten Geschichten erzählen sollen. Schon als Kind hast du vor lauter Flausen im Kopf oft nicht einschlafen können. Nun lass uns endlich wieder zu Bett gehen, bevor es draußen vollständig hell wird. Und versprich mir, dass du von nun an die Finger von dem Buch und dem Geheimfach lässt.« Er zwinkerte ihr zu. »Du willst doch nicht, dass dein Beichtvater auf seine alten Tage noch wegen aufrührerischer Schriften an den Pranger kommt.«
    »Nein … nein, natürlich nicht.« Agnes erhob sich zögernd. Pater Tristan nahm derweil das zerfledderte Buch und stellte es in eines der oberen Regale. Müde und verwirrt begab sich Agnes nach draußen in den Vorraum. Hatte der alte Burgkaplan doch recht, und sie lief irgendwelchen Traumgespinsten hinterher? Waren das alles etwa nur die Phantasien einer jungen, versponnenen Frau, die sich nach den alten Zeiten sehnte? Die sich verzehrte nach einem strahlenden Ritter auf einem hohen weißen Ross?
    Trotzdem war es ihr vorgekommen, als ob ihr Beichtvater ihr etwas verheimlichte. Pater Tristan hatte während des Gesprächs mehr gezittert als sonst, und seine Augen waren nervös hin und her gehuscht.
    Er lügt vielleicht nicht, aber er weiß mehr, als er zugeben will.
    Auf dem Weg die Treppe hinunter fiel ihr Blick noch einmal durch eines der schmalen Burgfenster. Fahl leuchtete der Mond als schmale Sichel durch die Öffnung, er war nicht mehr als ein dünnes Band. Es brauchte eine Weile, bis ihr klar wurde, was das bedeutete. Verdutzt sah sie zu Pater Tristan, der vor ihr die verwitterten Stufen hinabstieg. Was hatte er vorher noch mal zu ihr gesagt?
    Ich war draußen im Burghof, um im Garten Heilkräuter zu sammeln. Du weißt, bei Vollmond wirken sie am stärksten …
    Leise vor sich hinsummend ging der alte Mönch weiter, während Agnes nachdenklich stehen blieb. Pater Tristan hatte eindeutig gelogen. Aber warum? Und überhaupt, was hatte er oben in der Bibliothek gewollt? Hätte er, wenn überhaupt, mit den Kräutern nicht in die Küche gehen müssen?
    Auf der letzten Stufe blieb Pater Tristan stehen und blickte zu ihr auf. »Da ist noch etwas«, sagte er leise. »Dieser Ring. Ich habe gesehen, dass du ihn immer noch um den Hals trägst. Versprich mir unbedingt, dass du ihn niemandem zeigst.« Seine sonst so milden Augen blickten plötzlich so streng, wie Agnes es

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