Die Burg der Könige
Kyeser, wenn Ihr davon schon mal gehört habt. Wir nehmen dicke Buchenstämme, ihre silberfarbene Rinde wirkt aus der Ferne fast wie Eisen. Wenn wir noch einige unserer alten Feuerrohre dazwischenstellen und Kugeln und Tauwerk drapieren, wirkt das äußerst echt. Wertingen wird nicht wissen, dass wir in dem abschüssigen Gelände nicht schießen können.«
Das hoffe ich zumindest , dachte er. Aber ich werde den Teufel tun, das hier laut auszusprechen.
»Das ›Bellifortis‹ von Kyeser? Verzeiht, ich vergaß ganz, dass Ihr lesen könnt.« Scharfeneck schmunzelte. »Nun denn, wenn das die einzige Möglichkeit ist, dann lasst es uns eben versuchen. Aber ich werde meine Männer nicht in einen aussichtslosen Kampf schicken, nur weil der Geschützmeister zu feige für den Krieg ist.«
»Ich lade Euch gerne ein, neben mir zu stehen, wenn ich die Dicke Hedwig abfeuere«, entgegnete Mathis mit ausdruckslosem Gesicht.
Der Graf wollte etwas erwidern, doch Erfenstein fuhr dazwischen. »Genug jetzt«, blaffte er. »Kriege werden durch Taten entschieden, nicht durch Worte. Wir machen es so, wie Mathis gesagt hat. Der junge Bursche genießt mein Vertrauen. Lasst uns also mit den Vorbereitungen beginnen.«
Er sah hinüber zu Mathis, in dem Blick des Burgvogts lag Hoffnung, aber auch eine leise Drohung.
Erfenstein brüllte einige Befehle, und schon schwärmten die Landsknechte und Bauern aus, um Bäume zu fällen und die Trosswagen abzuladen. Inmitten des Trubels stand Mathis und blickte nachdenklich hinüber zur hohen Schildmauer. Durch wie viel Fuß Stein vermochte die Dicke Hedwig zu dringen? Mathis hatte die Hoffnung, dass die Mauer an einigen Stellen brüchiger war, als sie aussah. Oft wurden beim Burgenbau nur außen und innen feste Steine hochgezogen, der Raum dazwischen war mit Schutt aufgefüllt.
»Angst?«
Mathis drehte sich um und sah Melchior von Tanningen, der lächelnd direkt hinter ihm stand. Der Barde musste sich ihm völlig lautlos genähert haben.
»Wäre das so schlimm?«, erwiderte Mathis nach einer Weile.
Tanningen schüttelte den Kopf. »O nein, im Gegenteil. Nur Narren haben keine Angst. Sie schützt uns davor, Dummes zu tun.« Er deutete auf das schwere Feuerrohr, das ein Dutzend Landsknechte gerade vom Wagen losbanden. »Was meint Ihr? Wird dieses Monstrum die Mauer durchbrechen können?«
Mathis seufzte. »Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Sicher nicht mit dem ersten Schuss, vielleicht mit dem fünften oder sechsten. Aber möglicherweise fliegt mir das Rohr bereits vorher um die Ohren. Dann braucht ihr einen neuen Geschützmeister.«
»Das war sehr beeindruckend, wie Ihr vorher gesprochen habt«, sagte Tanningen, ohne auf Mathis’ Unsicherheit einzugehen. »Ihr habt in kürzester Zeit die richtigen Entscheidungen gefällt.«
»Ob sie richtig waren, wird sich erst herausstellen.«
Melchior von Tanningen zuckte mit den Schultern. »Zweifel sind berechtigt. In den Liedern wird immer wieder von den Zweifeln großer Feldherren berichtet.«
Unwillkürlich musste Mathis lachen. »Große Feldherren! Vergesst nicht, bis vor kurzem war ich nichts weiter als der schmutzige Sohn des Trifelser Waffenschmieds. In dieser Gegend gibt es vielleicht große Weine, aber keine großen Feldherren.«
»Das kann sich schnell ändern. Spürt Ihr nicht, dass etwas in der Luft liegt?« Melchior von Tanningen war nun ganz nahe an Mathis herangetreten. »Die zunehmenden Klagen der Bauern, dieser Mönch aus Wittenberg mit seinen aufrührerischen Reden, die Rufe nach Veränderung … Es mag der Tag kommen, an dem wieder große Feldherren gebraucht werden. Auch in der Pfalz. Viel Glück, Meister Wielenbach.«
Ohne ein weiteres Wort wandte Tanningen sich ab und strebte dem Wald zu. Mathis schüttelte sich. Dieser Barde war wirklich ein seltsamer Bursche. Wenn er redete, glaubte man tatsächlich, im Mittelpunkt einer dieser alten Schlachten mit Rittern und Bogenschützen zu stehen. Dabei hatte er als Geschützmeister nun wirklich Wichtigeres zu tun!
Er eilte den Landsknechten entgegen und half ihnen, das schwere Feuerrohr mit Hilfe von Seilen und Winden vom Wagen zu ziehen. Nun mussten sie ein Plateau ausheben, die Schilde bauen, den Neigungswinkel bestimmen und das Pulver neu anmischen. Mathis nickte grimmig. Die Dicke Hedwig war seine einzige Hoffnung, und er würde alles daransetzen, ihr zu einem großen Auftritt zu verhelfen.
***
Als Agnes am späten Vormittag erwachte, war draußen auf dem Flur ein leises
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