Die Burg der Könige
Fehler!«
Martin von Heidelsheim sprang auf, um ihr nachzueilen, doch Agnes schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Voller Genugtuung hörte sie ihn vor Schmerz laut aufheulen, dann rannte sie die Stufen hinab, vorbei an der dicken Köchin Hedwig und dem erstaunten Gesinde und hinaus auf den oberen Burghof. Blind vor Hast stolperte sie an der Kornkammer und einem verfallenen Schuppen vorüber, bis sie endlich an der vorderen Felsspitze des Trifels stand – einem schmalen Keil, der wie ein gewaltiger Schiffsbug auf die benachbarten Hügel im Süden zeigte. Kühler Abendwind wehte ihr durchs Haar, tief unter ihr rauschten die Blätter der Eichen und Buchen.
Gehetzt sah Agnes sich um, doch Heidelsheim schien ihr nicht gefolgt zu sein. Ihr Herz schlug wild, ein ätzender Geschmack kroch ihre Kehle hoch und ließ sie würgen. Agnes schloss kurz die Augen, um zur Ruhe zu kommen, dann versuchte sie zu begreifen, was gerade geschehen war. Verschämt hielt sie sich das aufgerissene Leinenkleid vor die Brust, während ihr die Kälte in die Glieder kroch. Sollte sie ihrem Vater von der versuchten Vergewaltigung erzählen? Heidelsheim würde vermutlich behaupten, er sei unglücklich gestürzt und habe sie mitgerissen. Alles andere bilde sie sich nur ein, ein hysterisches Mädchen, von dem man doch wusste, dass ihm oft die Phantasie durchging. Sie dachte an das, was Martin von Heidelsheim vorhin im Zorn zu ihr gesagt hatte.
Glaubt Ihr, Euer Vater findet einen neuen Kämmerer, der sich zu ihm in dieses Drecksloch hockt?
Agnes schluckte und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Immer wieder musste sie an Heidelsheims flinke, kalte Finger denken, an die feuchte Zunge auf ihrer Haut. Ihr Vater konnte doch unmöglich wollen, dass sie ein solches Monster heiratete! Doch vermutlich hatte Heidelsheim sogar recht mit seinen Behauptungen. Philipp von Erfenstein konnte froh sein, überhaupt einen Kämmerer zu haben, der sich um diese Ruine kümmerte. Noch von Kaiser Maximilian als Burgvogt eingesetzt, hatte ihr Vater in den letzten zwei Jahrzehnten nicht das geringste wirtschaftliche Talent bewiesen. Kämpfen, trinken und Geschichten von früher erzählen, das konnte er wahrlich gut. Doch für die niederen Dienste der Verwaltung brauchte Philipp von Erfenstein auf jeden Fall einen aufgeweckten Kämmerer wie Heidelsheim. Vermutlich würde ihr Vater abwiegeln und im schlimmsten Fall ihr selbst die Schuld in die Schuhe schieben. Außerdem: Hatte Heidelsheim nicht behauptet, ihr Vater habe bereits über eine Ehe mit dem Kämmerer nachgedacht? Unwillkürlich erinnerte sie sich an das verschwörerische Zwinkern, das der Vogt Heidelsheim zugeworfen hatte. Trotzdem mochte Agnes noch immer nicht glauben, dass Philipp von Erfenstein seine Tochter einem stinkenden, drögen Schreiber zur Frau geben würde. Wenn sie schon heiraten musste, dann sollte es wenigstens ein vornehmer Ritter sein, ihretwegen ein niedriger Adliger, aber doch nicht der Trifelser Kämmerer! In ihren Träumen und schlaflosen Nächten dachte sie ohnehin nur an einen einzigen bestimmten Mann, der sie streichelte, küsste und liebkoste.
Aber der war für sie gleichzeitig so nah und doch so unerreichbar wie der Mond.
Fröstelnd rieb sich Agnes die Gänsehaut auf ihren nackten Armen. Das weiße Kleid mit dem engen Mieder, das sie dem Vater zuliebe angezogen hatte, um ihn versöhnlicher zu stimmen, flatterte zerfetzt im Wind. Sie setzte sich auf einen herabgestürzten Balken und starrte in die Dämmerung. Im verblassenden Licht der bereits untergegangenen Sonne konnte sie eine Reihe weiterer Burgen erkennen, die wie verwitterte Steinriesen auf den umliegenden Hügeln thronten. Neuscharfeneck, Meistersel, die Ramburg und gleich nebenan Burg Scharfenberg und der Anebos … Sie alle waren einst Schutzburgen des Trifels gewesen, als hier noch Kaiser und Könige residierten. Doch das war lange vorbei.
Gelegentlich vernahm Agnes tief im Inneren des Trifels ein Brummen und Beben, so als würde die Burg kurz aus ihrem Schlaf erwachen. Es hörte sich an, als würde jemand leise nach ihr rufen. In solchen Augenblicken fühlte sie sich sehr einsam, weil sie wusste, dass nur sie diese Unruhe spüren konnte.
Während sie versunken auf dem morschen Balken kauerte und in die hereinbrechende Nacht schaute, drang plötzlich ein anderer Ton an ihr Ohr. Er war nur sehr leise, trotzdem erkannte sie ihn sofort. Aufgeregt stand Agnes auf und ließ den Blick über die umliegenden Äcker und Wälder
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