Die Burg der Könige
seit einer Stunde der Gerstenbrei auf dem Feuer. Die Marie hat Hunger. Und du, Mathis …« Sie nahm Hans Wielenbach den Pulversack ab und drückte ihn ihrem Ältesten in die Hand, wobei sie ihre Stimme senkte. »Du verstreust das hier schleunigst draußen auf den Feldern, damit es mit der Sache endlich ein Ende hat. Versprich’s mir. Aber geh um Gottes willen weit genug von der Schmiede weg!«
Sie sah ihn ernst an, bis er endlich zögernd nickte. Dann gab sie ihm einen Klaps und machte die Tür hinter ihm zu.
Nach der Hitze in der Schmiede schlug Mathis die kühle, feuchte Abendluft wie ein nasses Tuch ins Gesicht. Doch die plötzliche Stille und Einsamkeit taten ihm wohl. Alles war besser als eine weitere Minute mit seinem tobenden, uneinsichtigen Vater.
Mathis blinzelte, um seine Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen, dann wandte er sich zum Gehen. Die Schmiede lag auf der Ostseite der Burg, direkt an der Außenmauer. Ein schlammiger Pfad führte an der Mauer entlang und zweigte dann nach links ab, wo es über die steile Rampe hinunter zu den Feldern ging. Obwohl es bereits Mitte März war, lagen auf den frisch gesäten Schlossäckern noch große Schneefelder, die im schwindenden Licht gespenstisch weiß leuchteten; dahinter stand schwarz der Wald.
Mit dem Beutel in der Hand wanderte Mathis auf einem Trampelpfad an den Feldern entlang und bog schließlich zum Wald hin ab. Nachdenklich wog er den Sack mit den wertvollen grauschwarzen Körnchen in den Händen. Vielleicht wäre es wirklich ratsam, das Versprechen zu erfüllen, das er seiner Mutter gegeben hatte, und das Schießpulver wegzuwerfen. Mathis musste plötzlich an den blutigen Torso des Räubers denken, an die Schreie und das viele Blut um ihn herum. Es war das erste Mal gewesen, dass er gesehen hatte, was die Mischung aus Schwefel, Salpeter und Holzkohle tatsächlich anrichten konnte.
Seit Mathis als kleiner Bub auf dem Annweiler Marktplatz einmal zugeschaut hatte, wie Gaukler bunte Raketen in den Himmel schossen, war er von diesem Pulver fasziniert. Heimlich hatte er in der Trifelser Bibliothek Bücher über Feuerwaffen durchgeblättert, mit Hilfe der bunten Zeichnungen hatte er sich mühsam selbst das Lesen beigebracht. Seine Fibeln waren Wälzer wie Bengedans’ »Kriegskunst und Kanonen« oder das Feuerwerkerbuch »Kriegsmaschinen«, und Agnes hatte ihm anfangs an den schwierigen Stellen geholfen. Später drückte ihm dann der Schäfer-Jockel dünne, billig bedruckte Blätter in die Hand, die von der Unterdrückung der Armen berichteten, von dem mutigen Theologieprofessor Martin Luther, der sich gegen Papst und Kaiser gestellt hatte, und von den Bauern, die seit Jahrhunderten wie williges Schlachtvieh zum Schafott geführt wurden.
Endlose Stunden hatte Mathis, gut versteckt in dem an die Schmiede angrenzenden Schweinekoben, über den Flugschriften gebrütet und sie Wort für Wort entziffert. Es waren deutschsprachige Pamphlete wie die »Reformatio Sigismundi«, die von den neumodischen Druckerpressen überall im Reich in großer Zahl hergestellt und unters Volk gebracht wurden. Vieles darin war Mathis bekannt vorgekommen – die Beschreibung der Armut, des Hungers, der alltäglichen kleinen und großen Ungerechtigkeiten. Sein hustender, roten Schleim spuckender Vater und seine magere kleine Schwester waren ihm Beispiel genug, wie Not und harte Arbeit Menschen zugrunde richten konnten, während andere in Saus und Braus lebten. Einmal mehr spukte die Erinnerung an den am Strang zappelnden Jungen durch Mathis’ Hirn. Heute Morgen am Richtplatz hatte es kurz so ausgesehen, als würden die Bauern sich erheben, aber dann hatten doch wieder die Angst und der übliche Trott gesiegt.
In Gedanken versunken betrat Mathis den dunklen Wald, der sanft nach Westen hin abfiel, und holte den Beutel hervor. Der bucklige Schäfer-Jockel hatte ihm erzählt, dass schon bald eine neue Zeit anbrechen würde, eine Zeit, in der die Pfaffen und der Adel von Gottes heiligem Zorn hinweggefegt würden und die Bauern und einfachen Leute in Freiheit leben konnten. Mathis hatte sich heimlich gefragt, ob es auch Agnes und ihren Vater treffen würde. Philipp von Erfenstein war ein gelegentlich aufbrausender, aber ansonsten gutmütiger, gerechter Vogt, und mit Agnes hatte Mathis fast seine gesamte Kindheit verbracht. Sie waren wie Geschwister. Und mehr würden sie auch nie sein, schließlich war sie die Tochter eines Burgvogts und er nur der Sohn eines Schmieds.
Obwohl er
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