Die Burg der Könige
kleinen Wirtsstube, ganz rechts am Ende des Hafens, wo sie noch nicht gewesen waren. Jetzt war auch eine schrille Stimme zu vernehmen, ganz so, als würde jemand in höchster Todesangst rufen.
»Ein Hoch auf den Kaiser! Ein Hoch auf den Kaiser!«
Melchior von Tanningen lächelte schmal. »Es scheint, als würde selbst in solch schlimmen Zeiten die Verehrung für Karl V. nicht ganz abreißen. Ein wenig gefährlich, aber durchaus lobenswert, wenn Ihr mich fragt.«
»Das klingt eher wie ein Kind oder …«
Plötzlich musste Mathis an die Nacht der Entführung denken, an das schaukelnde Boot und an die seltsame Stimme, die er dort gehört hatte. Diese Stimme hier klang genauso, sie war kaum menschlich, mehr ein tierisches Kreischen, fast wie von einem …
Mathis fasste sich an die Stirn. Dann sprang er auf und zog im Laufen Melchior mit sich.
»Kommt schnell!«, rief er. »Vielleicht gibt es doch noch eine Spur!«
Gemeinsam rannten sie auf das kleine, schiefe Wirtshaus zu, das geduckt an einem der Lagerschuppen des Hafens lehnte. Mathis stieß die Tür auf und blinzelte in die dämmrige Stube. Kein einziger Gast war darin zu sehen, doch auf einem der zerkratzten Tische stand ein Käfig, in dem sich ein bunter Vogel befand. Er flatterte und kreischte aus Leibeskräften.
»Ein Hoch auf den Kaiser! Ein Hoch auf den Kaiser!«
Schwer atmend verharrte Melchior in der Tür. »Bei meiner Treu, das ist ein Papagei!«, sagte er schließlich lachend. »Vermutlich einer der Papageien, die diese Burschen bei sich hatten!«
Mathis nickte. »Ich habe den Schrei schon einmal gehört, damals, als sie mit Agnes auf dem Boot davonfuhren«, erklärte er. »Ich konnte die Worte nicht verstehen, doch an das Kreischen erinnere ich mich noch gut.« Er ging auf den Käfig zu und betrachtete den seltsamen Vogel. Als er seinen Finger an die Käfigstangen hielt, hackte das Tier mit seinem großen Schnabel danach.
»Wollt ihr ihn kaufen?«, erklang plötzlich eine tiefe Stimme vom Tresen her. Ein glatzköpfiger Wirt war schnaufend die Stufen vom Keller heraufgekommen. Seine breiten, behaarten Arme trugen ein Weinfass, das er jetzt vorsichtig abstellte. »Ihr könnt ihn haben. Das Vieh raubt mir ohnehin den letzten Nerv.«
»Wo … wo habt Ihr ihn her?«, fragte Mathis.
»Von ein paar windigen Gauklern, die ihn loshaben wollten. Wahrscheinlich war es ihnen momentan zu heikel, mit einem Vogel, der den Kaiser liebt, durch die deutschen Lande zu ziehen.« Der Wirt lachte bellend. »Die Halunken meinten, er könne sprechen wie ein Buch. Aber tatsächlich sind das die einzigen Worte, die er hervorbringt.«
»Ein Hoch auf den Kaiser, ein Hoch auf den Kaiser!«, erklang es erneut.
»Also, was ist?«, wollte der Mann wissen. »Wollt ihr ihn nun kaufen oder nicht?«
»Diese Gaukler …«, mischte sich jetzt Melchior von Tanningen ein. »Hatten die etwa einen Affen und zwei Frauen bei sich? Ein junges Mädchen und ein etwas älteres, mit Sommersprossen und wilden blonden Locken?«
Der Glatzkopf sah ihn staunend an. »Das stimmt. Die waren hier bei mir! Tranken jeder einen Becher heißen Gewürzwein, bevor sie sich wieder auf den Weg machten.«
»Die Kinzig hinauf in den Schwarzwald, nehme ich an?«, erkundigte sich der Barde.
»O Gott, nein! Das wäre jetzt viel zu gefährlich. Diese Lumpen sind mit den lothringischen Landsknechten mitgezogen. Nach Norden, in Richtung Schwaben. Hoffen wohl, dort fette Beute zu machen.« Plötzlich bekam der Blick des Wirtes etwas Lauerndes. »Ihr kennt die wohl?«, fragte er spitz.
Mathis winkte ab. »Äh, nein. Wir … wir haben sie nur einmal kurz getroffen, aber …«
»Die haben nämlich meinen Karren mitgenommen und dafür diesen lausigen Vogel hiergelassen. Ich schlage also vor, ihr nehmt das Vieh wieder mit und gebt mir das Geld für einen neuen Wagen.« Der Glatzkopf baute sich drohend vor ihnen auf. »Na, was ist?«
»Eine Frage noch, bevor wir ins Geschäft kommen«, hakte Melchior nach. »Wie lange seid Ihr denn schon im Besitz dieses possierlichen Tierchens?«
»Drei Tage. Vor drei Tagen sind diese Schurken am frühen Morgen mit den Landsknechten auf und davon.« Der Wirt verzog schmerzlich das Gesicht. »Drei lange Tage und Nächte, die ich dieses Geschrei aushalten musste.«
»Ein Hoch auf den Kaiser! Ein Hoch auf den Kaiser!«
Der Papagei schlug wild mit den Flügeln, und Melchior machte eine knappe Verbeugung.
»Nun, es freut mich, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Leider haben wir
Weitere Kostenlose Bücher