Die Burg der Könige
schmale Treppe hinunter ins Stadtarchiv. Unten angekommen, entzündete er mit seinem mitgebrachten Zunderkästchen ein paar der Fackeln an den Wänden, bis der Raum in ein flackerndes Licht getaucht war.
Schließlich machte er sich an die Arbeit.
Nachdenklich ließ Caspar seinen Blick über die mit Pergamentrollen und Büchern vollgestopften Regale schweifen. Er war schon einmal hier gewesen, letztes Jahr, als er dem eidbrüchigen Stadtvogt einen Besuch abgestattet hatte. Damals hatte der Vogt an dem großen Tisch in der Mitte des Raums gesessen und einige Akten studiert. Vielleicht war ja auch jenes Dokument dabei gewesen, das er jetzt so dringend suchte.
Caspar schritt die Regale ab und stellte fest, dass die Unterlagen darin chronologisch geordnet waren. Die ersten Schriftstücke stammten aus dem elften Jahrhundert, als die Stadt in den Besitz der Salier überging. Siegel deuteten darauf hin, dass der Ort danach ein Spielball vieler Herrscher gewesen war. Annweiler hatte den Staufern gehört, den Habsburgern, dann der Kurpfalz und schließlich dem Herzog von Zweibrücken, dem es noch bis vor kurzem lehnspflichtig war.
Und jetzt gehört die Stadt dem Pöbel , dachte Caspar. Barbarossa würde sich im Grab umdrehen!
Eine mit einem kleinen Vorhängeschloss versehene Lade, die in einer der Regalnischen stand, erregte seine Aufmerksamkeit. Er blies den Staub vom Deckel und öffnete mit einem weiteren seiner Dietriche vorsichtig das Kästchen. Eingeschlagen in roten Samt befand sich darin die Stadtrechtsurkunde von 1219 , verliehen von keinem Geringeren als Friedrich II., dem Enkel Barbarossas; sein rotes Wachssiegel prangte unten am Pergament. Der Name machte Caspar neugierig. Er überflog die Urkunde und stieß am Ende auf eine interessante in Latein verfasste Notiz.
Praeterea in die obitus mei in ecclesia Sanctae Fortunatae missam sanctam celebrandam esse constituo …
Der Agent rieb sich die Nasenflügel, wie immer, wenn er konzentriert nachdachte. Wie ein ins Wasser geworfener Stein löste die Notiz konzentrische Ringe in seinem Bewusstsein aus; Überlegungen, die sich mehr und mehr ausbreiteten. Noch einmal warf er einen Blick auf die letzten Zeilen der Urkunde, wobei er lautlos übersetzte.
… des Weiteren verfüge ich, dass alljährlich zu meinem Todestag in Sankt Fortunata eine heilige Messe gelesen werden soll. Darüber zu wachen ist Aufgabe einer Bruderschaft, deren Mitglieder die Annweiler Bürger von Generation zu Generation neu bestimmen …
Caspar runzelte die Stirn.
Eine Bruderschaft …
Dieses Annweiler war wirklich wie verhext! Alle schienen hier unter einer Decke zu stecken. In Friedenszeiten wäre es ihm ein Leichtes gewesen, über diese seltsame Bruderschaft Erkundigungen einzuziehen. Aber jetzt, während der Bauernaufstände, galt jeder neugierige Fragesteller gleich als Spion des Adels. Er würde vorsichtig zu Werke gehen müssen, doch er ahnte, dass er auf der richtigen Spur war.
Sorgfältig legte Caspar die Urkunde zurück in die Lade, verschloss sie und begab sich wieder nach oben ins Erdgeschoss. Dort öffnete er eines der hinteren Fenster und entschwand in die Nacht, während die Bauern am Vordereingang wieder zu ihrem Würfelspiel zurückgekehrt waren. Sie hatten sämtliche Gassen durchkämmt und in allen Wirtshäusern gestöbert, doch der seltsame Fremde blieb unauffindbar.
Dafür hatten sie einen weiteren Krug Wein konfisziert, den es nun zu leeren galt.
***
Als Mathis und Melchior die Tore Straßburgs erreichten, war die Stadt ein einziger Hexenkessel. In den Gassen tummelten sich Flüchtlinge, die aus dem ganzen Elsass zu kommen schienen. Viele Mönche und katholische Priester waren darunter, aber auch wohlhabende Bürger, die ihr Hab und Gut in Kraxen und Karren mit sich schleppten. Säuglinge weinten, Kinder plärrten nach ihren Eltern, Marktschreier und Hausierer nutzten die Gunst der Stunde und priesen ihre Waren zu völlig überteuerten Preisen an.
Die beiden Männer waren die letzten Tage so schnell geritten, dass ihre Pferde lahm wurden. Kurz vor Straßburg hatten sie die hinkenden Gäule schließlich an hungrige Landsknechte verkauft und waren die letzten zwanzig Meilen zu Fuß gegangen. Das Land, das sie dabei durchreisten, befand sich allerorten in Aufruhr. Zuerst hatten sich nur die Oberelsässer und Sundgauer Bauern erhoben, doch schon bald brannte die ganze westliche Rheinseite. Auch im benachbarten Lothringen griffen die einfachen Leute jetzt
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