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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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bereits siebzehn war und noch dazu ein ansehnlicher Bursche, hatte Mathis noch keines der Mädchen unten in der Stadt in die engere Wahl gezogen. Ein paar hastige Umarmungen im Heu, ein paar Küsse, das war alles gewesen. Für eine Hochzeit fehlte Mathis schlicht das Geld, außerdem würde kein vernünftiges Weib mit ihm hinauf auf den Burgberg ziehen und neben einer zugigen, gottverlassenen Ruine hausen.
    Und dann war da noch etwas anderes: Jedes Mal, wenn er eines der Mädchen berührte, sah er vor sich das Gesicht von Agnes. Es war wie ein Fluch! Als er sie heute nach langer Zeit wiedergetroffen hatte, war ihm ganz flau im Magen geworden. Er liebte ihr blondes, kaum zu bändigendes Haar, die vielen kleinen Sommersprossen und die winzigen Falten um ihre Nase, wenn sie sich über etwas ärgerte oder in ihre Bücher versunken war. Schon als kleiner Bub hatte er sie dafür bewundert, dass sie so gut lesen und schreiben konnte. Für ihn waren Buchstaben noch immer unruhige Geister, die sich nur schwer einfangen ließen.
    Mathis schüttelte den Kopf und atmete tief durch. Der Schäfer-Jockel konnte unmöglich auch Agnes und ihren Vater gemeint haben, als er vom Ende der Herrschenden sprach. Den Kurfürsten und den Bischof, die schon, vielleicht auch noch den fetten Abt Weigand vom Eußerthaler Kloster, aber doch nicht seine Agnes!
    Er griff in den Beutel, dessen stinkender Inhalt heute Tod und Verderben gebracht hatte. Die grauschwarzen Kügelchen rannen wie Mohn durch seine Finger. Düster starrte er vor sich hin in die Dunkelheit des Waldes, als er plötzlich nicht weit entfernt den Schrei eines Vogels hörte.
    Es war der Ruf eines Falken.
    Aufmerksam horchte Mathis, und das Krächzen ertönte erneut. Konnte das Parcival sein, der zurückgekehrt war? Leise schob er den Beutel mit dem Schießpulver wieder unter sein Wams und ging tiefer in den Wald hinein. Er würde sich später um das seiner Mutter gegebene Versprechen kümmern, jetzt musste er zunächst einmal den Falken finden. Wenn er Agnes ihren Parcival zurückbrachte, würde sie bestimmt wieder lächeln können. Vielleicht würde dann alles so werden wie früher.
    Auf Zehenspitzen schlich er in die Richtung, aus der das Krächzen gekommen war. Der Boden war stellenweise rutschig und abschüssig, trotzdem versuchte er zu vermeiden, auf abgebrochene Äste und tote Zweige zu treten. Er wusste von Agnes, dass gerade Sakerfalken sehr scheu waren. Ein einziges Knacksen, und der Vogel würde vermutlich wieder das Weite suchen. Noch einmal ertönte der hohe, beinahe klagende Schrei, diesmal schon viel näher. Nun konnte er auch das vertraute Klingeln eines Glöckchens hören. Er war also auf der richtigen Spur!
    Als Mathis einen tiefhängenden Buchenast zur Seite schob, erblickte er zwischen den Bäumen Agnes’ elfengleiche Gestalt. Sie stand auf einer kleinen Lichtung, einem vorspringenden Plateau, hinter dem der Hang steil zum Tal hin abfiel. Im Mondlicht sah sie in ihrem weißen Kleid aus wie eines jener Zauberwesen, von denen ihm seine Mutter früher immer erzählt hatte. Auf einem Lederhandschuh hielt sie den flatternden Vogel, auf den sie in einer fremden, weich klingenden Sprache nun leise und beruhigend einredete.
    »Abril issi’ e mays intrava, e cascus dels auzels chantava …«
    »Agnes«, flüsterte Mathis und trat ein paar Schritte vor. »Hier bist du also. Das hätt’ ich mir denken können.«
    Agnes zuckte zusammen, erst nach einigen Augenblicken lachte sie erleichtert auf. »Du hast mir einen ganz schönen Schreck eingejagt, Mathis! Ich hab schon gedacht, von Wertingens Männer schleichen wieder durch den Wald.« Vorsichtig hob sie den kleinen Sakerfalken hoch, der sich auf dem Handschuh sichtlich wohl fühlte. »Schau nur, Parcival ist zurückgekommen! Ich hab sein Lahnen bis hinauf zum Tanzfelsen gehört.«
    »Ich hab ihn auch gehört, darum bin ich hier.« Mathis streichelte den Falken, der jetzt eine lederne Haube über dem Kopf trug und ganz ruhig war. »Du hast in einer fremden Sprache mit ihm geredet. Was war denn das?«
    »Ach, das waren nur ein paar Brocken Okzitanisch, die alte Sprache der Barden und Könige. Ich hab sie aus den Büchern in der Trifelser Bibliothek aufgeschnappt. Ich glaube, Parcival mag sie. Es beruhigt ihn. Das und die Haube.« Lächelnd fuhr Agnes dem Vogel über den ledrigen Helm, der den Falken wie die Miniatur eines Ritters aussehen ließ. »Ich hab sie ihm aufgesetzt, weil er ganz außer sich war«, erklärte sie

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