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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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hin und her, erst als Agnes ihm einen großen Batzen rohes Taubenfleisch gab, kam er langsam zur Ruhe. Etwas, was ihr selbst nach den Ereignissen des heutigen Tages nicht vergönnt war.
    Unruhig glitt ihr Blick hinüber zur Tür, die sie nach ihrem furchtbaren Erlebnis mit Martin von Heidelsheim vorsichtshalber abgeschlossen hatte. Ihre Kammer war schlicht ein­gerichtet, mit einer grobgezimmerten Kleidertruhe, einem Schemel und einem der wenigen beheizbaren Kachelöfen der Burg. Aber im Winter zog es eisig durch die Fenster, deren Butzenglasscheiben schon vor etlichen Jahren zu Bruch gegangen waren. Der alte Stallmeister Radolph hatte die Öffnungen nur notdürftig mit Leder bespannt, Geld für neues Glas war nicht vorhanden. Agnes’ einzige persönliche Habseligkeiten waren einige Bücher, die in einer weiteren Truhe unter dem Bett lagen und die sie wie ihren Augapfel hütete.
    Weil sie nicht einschlafen konnte, kramte sie nun eines davon hervor und begann darin zu blättern. Es war ein altes Trifelser Sagenbuch, das sie erst kürzlich aus der Burgbibliothek mitgenommen hatte. Besonders liebte sie die Erzählung über den englischen König Richard Löwenherz, der einst im Trifels eingekerkert war und hier einige okzitanische Gedichte verfasst hatte. Auch die vielen Legenden über verschollene Schätze in der Gegend, allen voran der sagenhafte Normannenschatz, las sie immer wieder gern.
    Doch Agnes’ liebstes Buch war eine Abschrift des berühmten Falkenbuchs des Stauferkaisers Friedrich II., die ihr Beichtvater Pater Tristan ihr im letzten Jahr geschenkt hatte. Fast den ganzen Winter über verweilte der Pater im Eußerthaler Kloster, wo er dem unfähigen Abt Weigand bei der Verwaltung half. Doch sobald es wärmer wurde, kam der Pater herüber zum Trifels, wo er sich um die Bibliothek kümmerte, den sonntäglichen Messdienst versah und sich der kranken oder verletzten Bauern der Gegend annahm. Agnes hatte Pater Tristan nie gefragt, wie das Buch in seinen Besitz gelangt war. Vermutlich hatte der Abt dessen Wert nicht erkannt und es deshalb seinem Stellvertreter überlassen. Dabei hatte das bebilderte, mit Kalbsleder eingebundene Werk einst vermutlich mehr gekostet, als ein Bauer in seinem ganzen Leben verdiente. Doch im Lauf vieler Jahrzehnte war es schimmlig geworden, vergilbt und an den Ecken eingerissen.
    Vorsichtig zog sie den abgegriffenen Wälzer mit seinen dicken Pergamentseiten unter der Bettstatt hervor und begann darin zu blättern. Die Farbe der zahlreichen bunten Illustrationen war an vielen Stellen verblichen, trotzdem wirkten die dort abgebildeten Falken, Sperber, Adler und Habichte so lebendig, als wollten sie gleich aus dem Buch herausfliegen. Auf den Bildern wimmelte es nur so von altertümlich gekleideten Königen und vor ihnen knienden Falknern; von Hasen, Rehen, Reihern und von Eulen mit zur Jagd gespreizten Flügeln. Aber auch Pferde, Burgen, ja sogar ein im See schwimmender Mann waren darin naturgetreu abgebildet.
    Doch auch wenn das Buch Agnes sonst immer beruhigte, diesmal blieb sie seltsam angespannt. Ihr Herz klopfte so stark, dass ihr der Brustkorb schmerzte. Schließlich legte sie es weg und wälzte sich unruhig hin und her. Immer wieder musste sie an die Explosion heute Vormittag denken, an Heidelsheims Versuch, sie zu vergewaltigen, an die seltsamen Männer mit ihren bepackten Pferden im Trifelser Wald und an den Ring.
    Vor allem an den Ring.
    Auf der Kleidertruhe direkt neben dem Bett lag er, hart und fest wie ein Kieselstein. Nun nahm sie ihn und sah sich das goldene Siegel noch einmal genauer an. Abgebildet war darauf der Kopf eines bärtigen Mannes, sonst nichts. Kein Name, keine Initialen, nicht einmal eine Jahreszahl. Das Gold schimmerte matt, winzige Kratzer waren überall auf der Oberfläche zu sehen, so als wäre der Ring schon sehr lange getragen worden. Doch gerade diese Schlichtheit machte ihn so merkwürdig. Beinahe glaubte Agnes, einen jener Zauberringe in der Hand zu halten, von denen sie in den alten Geschichten und Legenden gelesen hatte.
    Wie in aller Welt war Parcival an diesen Ring geraten?
    Agnes war sich sicher, dass jemand ihn dem Falken an die Klaue gesteckt haben musste. Aber warum? Was für einen Sinn hatte es, einem zugeflogenen Vogel einen Ring ans Bein zu stecken? Noch dazu einen goldenen, der bestimmt viele Gulden wert war.
    Es sei denn, dieser Jemand weiß, wem der Vogel gehört …
    Aufgeregt richtete sich Agnes im Bett auf. War es möglich, dass ihr

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