Die Burg der Könige
leise. »Der arme Kerl! Wahrscheinlich hat ihn der Knall bis weit in die Rheinebene hineingetrieben. Schau nur, gleich zwei seiner Schwanzfedern sind abgebrochen! Ich werd ihm wohl neue aufstecken müssen.« Vorsichtig durchsuchte Agnes Parcivals Federkleid nach weiteren Verletzungen, als sie plötzlich stutzte.
»Was um Himmels willen ist das?«
Sie tastete über Parcivals rechte Klaue und zog schließlich einen kleinen glitzernden Gegenstand hervor. Mathis brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass es sich um einen Ring handelte. Im fahlen Mondlicht schimmerte er golden wie ein Dukatenstück; an seiner Oberseite war er zu einer flachen Platte geformt, auf der etwas eingeritzt schien. Mathis nahm den Ring und hielt ihn sich vor die zusammengekniffenen Augen.
»Das ist ganz offenbar ein Siegelring«, meinte er schließlich. »Aber das Siegel ist ziemlich merkwürdig. Nur ein bärtiger Männerkopf, sonst nichts. Wo genau hast du ihn gefunden?«
Agnes griff nach dem Ring und rieb ihn nachdenklich zwischen den Fingern. »Er steckte an seiner Klaue, und zwar ziemlich fest. Das kann kein Zufall sein. Wenn du mich fragst, hat ihn jemand absichtlich dort befestigt.«
Mathis lachte. »Absichtlich? Agnes, ich bitte dich! Es gibt zwar eine Menge Diebe, die Ringe von Fingern stehlen, aber einen Dieb, der einen Goldring auf die Klaue eines Falken steckt? Von so einem hab ich noch nicht gehört.«
»Dummkopf!«, zischte Agnes. »Ich weiß selbst, dass sich das merkwürdig anhört. Aber gibt es eine andere Erklärung? Parcival wird sich den Ring ja wohl nicht selbst angesteckt haben.«
»Vielleicht hat er geheiratet? Muss jedenfalls eine gute Partie sein.« Mathis grinste breit, aber Agnes sah ihn nur zornig an.
»Sehr witzig. Überleg lieber, was das Ganze soll, bevor du dich hier über mich lustig machst!«
»Ich glaube …«, begann Mathis, doch plötzlich stockte er, als von irgendwoher das Wiehern eines Pferdes zu hören war. Gleich darauf vernahmen sie die gedämpften Stimmen von mehreren Männern.
Nicht schon wieder! , fuhr es ihm durch den Kopf. Lieber Gott, lass das nicht von Wertingen mit seinen Kumpanen sein, die auf Rache aus sind!
Fest drückte er Agnes’ Hand und legte den Finger vor die Lippen. Es war zwar durchaus nicht ungewöhnlich, dass auch nach Einbruch der Dunkelheit noch Reiter in der Gegend unterwegs waren. Allein – die Geräusche kamen aus dem Wald und nicht von der Straße her, die zum Trifels hinaufführte. Was hatten Reisende hier in der Wildnis zu suchen? Mathis’ Herz schlug schneller.
Schweigend deutete er auf eine Kuhle im Waldboden, die mit stachligen Brombeerranken überwachsen war. Agnes verstand seine Geste, und gemeinsam krochen sie mit dem Falken in das feuchte Erdloch. Schon war das Stampfen von Hufen zu hören.
Nur kurze Zeit später tauchten schemenhaft ein halbes Dutzend Männer auf, die ihre Pferde an kurzen Zügeln hinter sich herzogen. Es waren stämmige Ponys, beladen mit allerhand Gerät, das Mathis in der Dunkelheit jedoch nicht genau erkennen konnte. Auch von den Männern sah er von der Erdkuhle aus nur Umrisse. Sie flüsterten erregt miteinander, als plötzlich jemand zischte. Es war der Mann am Ende des Zuges. Als Einziger der Gruppe saß er auf seinem Pferd, einem großen Rappen, der nervös auf und ab tänzelte. Er trug einen Umhang mit einer Kapuze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte.
»Himmelherrgott, schweigt gefälligst still!«, flüsterte er. »Es ist nicht mehr weit. Wir müssen nur noch …«
In diesem Augenblick schrie Agnes’ Falke.
Es war nur ein kurzes Krächzen, doch es reichte aus, um die Männer aufhorchen zu lassen. Der vorderste von ihnen blieb stehen und sah sich auf der Lichtung um. Er stand nur einen Schritt von der Erdkuhle entfernt, sein gepresster Atem war deutlich zu hören. Erschrocken sah Mathis zu Agnes hinüber, die lautlos wie zum Gebet die Lippen bewegte und Parcival über die Haube strich.
»Verflucht, was war das?«, knurrte der Mann direkt vor ihnen. »Habt ihr’s auch gehört? Der Schrei kam eindeutig aus dem Boden.«
»Jaja, ist eine verhexte Gegend hier rund um den Trifels«, meldete sich eine zweite Gestalt, die ganz nah hinter ihm stand. »Vielleicht sind’s böse Zwerge, die dich in ihre Höhle locken wollen, oder gar der leibhaftige Kaiser Barbarossa.« Der Mann kicherte, und der andere gab ihm einen heftigen Stoß. »Vielleicht hast du ihn ja aufgeweckt?«
»Zum Teufel, hör bloß auf damit! Es reicht schon,
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