Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
ohne mich auskommen , dachte sie hoffnungsvoll. Bestimmt. Auch der kleine Hans wird es schaffen, jetzt, nachdem ich ihn geheilt habe. Ich kann die beiden nicht mitnehmen.
    »Eine Geschichte willst du hören?«, begann Barnabas leutselig, nachdem er einen weiteren tiefen Schluck Wein genommen hatte. »Ha, ich weiß eine schöne Geschichte, und die ist sogar wahr! In Thüringen haben sie jetzt endlich diesen Thomas Müntzer geschnappt. Ihr wisst schon, diesen wirren Prediger, der das Himmelreich auf Erden predigt.« Er spuckte ins Feuer. »Na ja, nun wird der Müntzer erst mal die Hölle auf Erden erleben. Eine ganze Woche foltern sie ihn schon!«
    Barnabas lachte laut, und Agnes wandte sich angewidert ab. Ganz plötzlich fühlte sie sich schrecklich müde.
    »Ich fürchte, für König Artus und seine Ritter ist es heute schon zu spät«, sagte sie mit gezwungenem Lächeln zu Agathe. »Vielleicht reiten sie morgen wieder aus, ja?«
    Schnell gab sie ihr Fleisch den Hunden, dann kletterte sie in den Karren und schlüpfte unter die stinkenden, zerfetzten Laken.
    An Schlaf war nicht zu denken. Von draußen ertönten das Lachen und das Gejohle der Männer, irgendwo schrie kläglich ein Schwein; der Rauch des Lagerfeuers zog in dicken Schwaden durch das Innere des Karrens.
    Außerdem kreisten Agnes’ Gedanken immer wieder um Mathis. Wie es ihm wohl gerade erging? Sie konnte nur hoffen, dass er wohlauf war. Vermutlich hatte er sich als Geschützmeister den Rebellen angeschlossen, und Melchior von Tanningen war Gast bei irgendeinem anderen Grafen, der ihm gegen Musik und Gesang ein warmes Bett versprach. Und sie selbst? Agnes musste schlucken. Das Einzige, was sie selbst noch am Leben hielt, war das Ziel, das sie hatte.
    Sankt Goar.
    Was danach kam, wusste sie nicht.
    Agnes dachte an ihre letzten Träume, die so anders gewesen waren als jene im Trifels. Drei Mal hatte sie nun schon von dem Überfall im Wald und ihrer Flucht als kleines Mädchen geträumt. Seltsamerweise kamen die Bilder immer nur dann, wenn sie im Karren schlief. Mittlerweile war sie zu der Überzeugung gelangt, dass der Traum tatsächlich eine Erinnerung an ihre früheste Kindheit war, auch wenn sie sich noch keinen Reim darauf machen konnte. Es hatte diesen Überfall wohl wirklich gegeben. Aber warum hatte ihr Vater ihr dann nie davon erzählt? Wollte er sie schonen? Oder hatte er vielleicht etwas zu verheimlichen?
    Was ist nach dem Überfall geschehen?
    Draußen knisterten die Buchenscheite im Feuer. Sie waren nass, und die Rauchschwaden, die durch den Karren waberten, wurden schwärzer und dichter. Agnes musste husten, schließlich drehte sie sich zur Seite und spürte, wie der Qualm sie langsam müde machte. Die Augen fielen ihr zu.
    Nur wenig später träumte sie erneut. Doch diesmal hörten die Erinnerungen nicht auf an der Stelle, als sie mit der Hexe im Wald stand.
    Sie fingen dort erst an …
    Eine faltige Hand umfasst ihr kleines Händchen. Sie blickt auf und sieht die Hexe. Sie ist nicht so alt, wie Agnes zuerst dachte. Kleine Lachgrübchen liegen links und rechts der Mundwinkel, ihre Augen leuchten weise und gütig.
    »Wir gehen zu mir«, sagt die Hexe. »Dort bist du erst mal ­sicher.«
    Gemeinsam gehen sie durch die Dunkelheit des Waldes, bis sie an ein kleines, windschiefes Häuschen kommen. Rauch quillt aus dem Kamin. Als sie es betreten, liegt der Qualm wie eine Decke auf dem Tisch, den zwei Hockern, der Truhe und der Schlafstatt. Mit offenem Mund starrt Agnes auf die Phiolen und Gläser in den Regalen, sie sind gefüllt mit getrockneten Schlangen, mit Fröschen, Lurchen und anderem Kroppzeug. Ein menschlicher Schädel glotzt Agnes von der Anrichte über der offenen Feuerstelle aus an. Die Hexe drückt ihr einen warmen, mit einer dampfenden Flüssigkeit gefüllten Becher in die Hand.
    »Trink das, Kind. Dir ist kalt, du brauchst Schlaf. Morgen werden wir weitersehen.«
    Agnes zögert. Was, wenn der Trank vergiftet ist? Wenn die Hexe doch böse ist? Doch dann sieht sie das Lächeln im Gesicht der Frau, und sie trinkt die heiße, süße Flüssigkeit.
    »Wo sind deine Eltern?«, fragt die Hexe.
    Agnes schweigt.
    »Hast du sie im Wald verloren?«, fragt die Hexe, und ihre Augen blicken plötzlich sehr besorgt. »Bei Gott, ist ihnen vielleicht etwas zugestoßen? Sprich!«
    Agnes schweigt.
    Immer wenn sie antworten will, ist da ein Knoten in ihrem Hals. Sie sieht die verschwommenen Schemen neben dem Karren im Wald liegen, wie zerrissene Puppen,

Weitere Kostenlose Bücher