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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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weiter, als er plötzlich nicht weit von sich zwei Gestalten hinter den Bäumen sehen konnte. Im Mondlicht waren sie über etwas gebeugt, das trat und zappelte wie ein gefangenes Wild.
    Es war Agnes.
    »Agnes, Agnes!«, schrie Mathis wie von Sinnen. Ohne nachzudenken, rannte er auf die beiden Männer zu und warf sich ihnen entgegen. Der eine, ein feister Bauer in zerrissenem Wams, fiel schnaufend zu Boden.
    »Was zum Teufel …«, brummte er, doch Mathis hatte ihm bereits seine Faust ins Gesicht geschmettert. Wimmernd und blutend blieb der Mann liegen, während Mathis sich einen Stock vom Boden griff und damit laut schreiend auf den zweiten Bauern zurannte. Einen kurzen Augenblick zögerte der Mann noch, dann drehte er sich um und verschwand zwischen den Tannen in der Dunkelheit.
    Schwer keuchend wandte Mathis sich Agnes zu, die in einer Erdkuhle Schutz gesucht hatte und die Hände vor ihr Gesicht hielt. Als er sie berührte, zuckte sie wie von einem Peitschenschlag getroffen zusammen.
    »Ich bin es, Agnes«, sagte er leise. »Alles wird gut. Diesmal war ich rechtzeitig da, diesmal …«
    Ein knirschendes Geräusch ertönte dicht hinter ihm. Bevor Mathis herumfahren konnte, traf ihn etwas am Hinterkopf und ließ in seinem Schädel tausend Sterne explodieren.
    Wie ein gefällter Baum kippte er zur Seite. Das Letzte, was er wahrnahm, war ein schwarzer Schemen, der auf ihn zurauschte.
    »Fahr zur Hölle, Verräter«, zischte eine Stimme.
    Dann traf ihn ein ledriger Bundschuh mitten ins Gesicht.
    Graf Friedrich von Scharfeneck saß am Tisch vor seiner mit Speck gespickten Wildschweinkeule und lauschte den Gesängen der Landsknechte draußen vor dem Zelt. Er liebte ihre blutigen Lieder, die von Wein, Weibern, Mordlust und einem kurzen, aber erfüllten Leben berichteten. Sie waren getränkt mit Hass; dem stärksten Gefühl, das der Graf kannte. Mit dem Messer fuhr er über die einzelnen Muskelstränge des Fleisches, während er sich an seinen jüngsten Erinnerungen berauschte.
    Seine Männer waren über die Grafschaften Löwenstein und Neuscharfeneck hergefallen wie die Reiter der Apokalypse. In jedem Dorf hatten sie die Hälfte der Häuser in Brand gesetzt und jeweils fünf Männer gehenkt, die vorher ausgelost worden waren. Die Landsknechte hatten mit ihren Pferden die Felder niedergetrampelt und das Saatgut und die letzten Kühe als Abgabe mitgenommen, während Kinder und Weiber schrien, sich vor ihnen auf den Boden warfen und um Gnade winselten.
    Sie hatten keine Gnade walten lassen.
    Es war dieses Gefühl absoluter Macht gewesen, das Friedrich seinen Zorn auf Agnes eine Zeitlang vergessen ließ. Mit jedem Befehl, mit jedem Schlag oder Tritt traf Friedrich auch seinen eigenen Vater, der ihn ein Leben lang hatte spüren lassen, dass er der Jüngste in einer langen Reihe von Scharfenecks war, einer, von dem nichts zu erwarten war; ein verträumtes Kind, das ohne Mutter zwischen staubigen Büchern aufwuchs, in denen große Männer große Schlachten schlugen.
    Nun schlug er seine eigene Schlacht. Er war kein guter Held, kein Artus, sondern ein zornerfüllter Rächer, und das war mindestens ebenso gut.
    Wenn nicht sogar besser.
    Gedankenverloren zerhackte Friedrich von Scharfeneck seine Wildschweinkeule in mundgerechte Teile. Immer kleiner schnitt er das Fleisch, bis es fast nur noch aus Fransen bestand. Währenddessen dachte er darüber nach, was er mit den Bauern anstellen würde, wenn er den Trifels endlich erobert hatte. Burg Scharfenberg hatte er bereits gestern quasi im Handstreich genommen. Die Burg war nur spärlich besetzt gewesen, und der Zustand, in dem Friedrich seine so teuer erworbenen Möbel und Teppiche aufgefunden hatte, hatte seine Stimmung nicht eben verbessert.
    Nun war der Moment gekommen, um Rache zu nehmen. Sein Vater hatte Wort gehalten und ihm die fünfzig Landsknechte samt Geschützen für einen weiteren Monat überlassen. Mehr als genug Zeit, den Trifels zu erobern, den er durch seine Suche nach dem Normannenschatz nur allzu gut kannte. Morgen früh würden sie mit der Belagerung beginnen. Sie würden das nur notdürftig instandgesetzte Burgtor mit der Nachtigall sturmreif schießen, würden mit Leitern die niedrige, baufällige Mauer an der Ostseite erklimmen und schließlich mit den Bauern kurzen Prozess machen.
    Nur diesen Schäfer-Jockel, ihren Anführer, den würde Friedrich sich für später aufheben. Für jeden winzigen Moment seiner schmählichen Flucht aus dem Trifels vor einigen Monaten

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