Die Burg der Könige
floss aus der aufgeplatzten Lippe, wo Mathis’ Schläge ihn getroffen hatten. »Nun, was soll’s, dann muss es eben schnell gehen.«
Er stieß mit der Klinge nach Mathis, doch dieser wich im letzten Moment zur Seite. Blind vor Hass teilte Friedrich weitere Hiebe mit seinem Degen aus, so dass Mathis immer weiter zurückgedrängt wurde.
Ich habe keine Waffe mehr, nicht mal meinen Dolch! , dachte er verzweifelt. Warum habe ich Narr das Schwert des toten Landsknechts nicht mit nach oben genommen!
Schließlich wusste er sich nicht mehr anders zu helfen, als auf die Brüstung zu springen, um wenigstens für eine Weile außer Reichweite des Degens zu sein. Doch Friedrich folgte ihm nach, er kletterte auf die Brüstung und stand nun auf der anderen Seite einer Säule. Von dort aus versuchte er, den tödlichen Stich zu setzen, aber Mathis entglitt ihm immer wieder wie ein Fisch, mal stand er links von der Säule, mal rechts davon. Verzweifelt spähte er in die Tiefe, um einen Blick auf Agnes zu erhaschen, doch der tobende Graf versperrte ihm die Sicht.
O Gott, lass sie nicht bis auf den Grund gestürzt sein. Dann war alles umsonst!
»Sie ist tot!«, schrie Friedrich, der Mathis’ Gesichtsausdruck offenbar richtig gedeutet hatte. »Weder ich noch du werden sie jemals wieder mit ins Bett nehmen.« Er lachte, und der Wahnsinn troff wie Gift aus seinen Augen. »Nie mehr wieder wird dieses Weib mich in meinen Träumen quälen. Und du auch nicht! Du … Verflucht, was ist das ?«
Während Friedrich zum finalen Stich ansetzte, glitt plötzlich ein Schatten die Galerie entlang, wie ein schwarzer Fleck, der noch dunkler war als die Dämmerung um ihn herum. Ein schriller, unmenschlicher Schrei ertönte, dann strichen Federn über Mathis’ Gesicht. Das Ding erreichte den Grafen, der wild um sich schlug, als ein kreischender, flatternder Ball direkt vor seinen Augen zu explodieren schien.
»Weg! Geh weg!«, brüllte der Graf. »Verdammtes Vieh, dich hat die Hölle geschickt!«
So plötzlich, wie er gekommen war, verschwand der aufgeschreckte Vogel auch wieder im Gebälk. Das Ganze war so schnell gegangen, dass Mathis nicht wusste, ob es tatsächlich ein Tier oder vielleicht nicht doch ein Spuk gewesen war.
Der Graf schrie derweil wie am Spieß. Offenbar war ihm der Vogel mit den Klauen ins Gesicht geflogen, hilflos tastete er nach seinen Augen und ließ damit für einen kurzen Augenblick die Säule los. Er taumelte, sein rechtes Bein trat ins Leere, dann auch das linke.
»Dich hat die Hölle geschickt!«, schrie er noch einmal. »Die Hölle!«
Kurz schien Friedrich in der Luft zu schweben, dann plumpste er wie ein Sack Mehl nach unten. Nur einen Augenblick später landete er krachend auf dem Dach unter ihm. Mathis sah, wie der Graf dem Abgrund entgegenrollte und dabei wild um sich griff, doch er fand keinen Halt. Als er gleich darauf über den Sims rutschte, griffen seine Finger ein letztes Mal nach der Rinne, wie weiße, sich windende Würmer krümmten sie sich um das Bleirohr.
Für einen winzigen Moment tauchte noch einmal das blutig zerkratzte Gesicht Friedrich von Scharfenecks über der Rinne auf, verzerrt zu einer Grimasse aus Wahnsinn und Todesangst.
Dann verschluckte ihn endgültig die Finsternis.
Benommen lag Agnes auf dem Dach, als nicht weit von ihr entfernt etwas Großes aufschlug. Sie hörte einen gellenden Schrei, dann kehrte plötzlich Stille ein.
Friedrich , dachte sie. Das war Friedrich. Er ist tot.
Merkwürdigerweise empfand sie dabei keine Erleichterung. Sie musste an den Schatten denken, an das unmenschliche Kreischen über ihr, das wütende Brüllen ihres Gemahls.
Verdammtes Vieh! Dich hat die Hölle geschickt …
Konnte das wirklich sein? Nach so vielen Monaten?
Vorsichtig richtete sie den Kopf auf und versuchte sich zu orientieren. Sie lag am unteren Rand des Daches, ihre Glieder schmerzten vom Aufprall, doch die leichte Schräge hatte dafür gesorgt, dass sie eher sanft gelandet war. Nichts schien gebrochen. Eben wollte sie sich kriechend vom Rand wegbewegen, als sie ganz plötzlich ein gutes Stück weiter nach unten rutschte. Der Morgentau hatte den Schiefer in eine rutschige Fläche verwandelt. Agnes versuchte sich erneut nach oben zu schieben, nur um ein weiteres Mal hinabzugleiten. Ihre Füße fanden keinen Halt mehr, kleine Steine kollerten an ihr vorüber, schließlich baumelte sie mit beiden Beinen über dem Abgrund. Verzweifelt krallte sie sich mit den Fingern an dem nassen Schiefer
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