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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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lief er entschlossen los.
    »Da rennt er! Da rennt der Bursche! Haltet ihn auf, so haltet ihn doch auf!«
    Mathis glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Es war der Schäfer-Jockel, der da laut nach den Wachen rief! War das nur ein Trick, um die Büttel von sich abzulenken? Oder hatte sein Held ihn schmählich verraten? Doch Mathis hatte keine Zeit zu grübeln, schon hörte er Schritte hinter sich. Ohne sich umzublicken, rannte er in eine weitere Gasse und stieß dabei ein paar der mit Leder bespannten Gerüste um. Endlich sah er vor sich den Mühlbach, doch zu seinem Entsetzen kamen bereits von links wie von rechts jeweils zwei Büttel auf ihn zugelaufen. Mathis schaute sich panisch um. Sollte er den Sprung über den breiten Mühlbach wagen? Wenn er das gegenüberliegende Ufer auch nur um Haaresbreite verfehlte, war alles aus!
    Hektisch überlegte er, da fiel ihm in der Nähe eines der Mühlräder ins Auge, das sich langsam durch das von Abfall und Fäkalien trübe Wasser drehte. Mathis nahm seinen ganzen Mut zusammen, dann warf er sich auf das schleimige, von Algen bewachsene Rad, hielt sich an einer der Streben fest und ließ sich emporheben. Eiskaltes Wasser rann ihm über Gesicht und Haare. Endlich oben angekommen, richtete er sich vorsichtig auf. Einen Augenblick lang konnte er von seinem wackligen Posten aus die ganze Stadt überblicken, dann sprang er mit einem gewaltigen Satz hinüber zum anderen Ufer. Die Wachen blieben staunend zurück. Zwei von ihnen nestelten noch an ihren Armbrüsten, doch schon war Mathis in einer kleinen Seitengasse verschwunden.
    Vorbei an einigen weiteren verdutzten Bürgern eilte er über schmale, verwinkelte Pfade an der Stadtmauer entlang, bis in einer leeren Sackgasse vor ihm endlich ein schmaler, mit Efeu verhangener Spalt auftauchte. Schon öfter war er nach dem Sechs-Uhr-Torschluss durch diese Öffnung noch nach draußen gelangt. Heute rettete der Spalt ihn vermutlich vor dem Kerker, wenn nicht sogar vor Schlimmerem.
    Mathis wischte die Pflanzen beiseite und schlängelte sich durch das enge Loch, bis er auf der anderen Seite in den auf dieser Stadtseite ausgetrockneten Graben purzelte. Er landete weich in einem Haufen aus stinkenden Abfällen. Ohne sich um sein Äußeres zu kümmern, rappelte er sich auf, kletterte den Graben hoch und eilte auf den nahen Eichenwald zu.
    Erst als er die Umrisse der Stadt zwischen den Zweigen nicht mehr sehen konnte, fühlte Mathis sich einigermaßen sicher. Doch er wusste, dass diese Sicherheit trügerisch und nicht von Dauer war. Egal, was noch kommen sollte, sein Leben würde nach dem heutigen Tag nicht mehr wie früher sein.
    Ohne es zu wollen, war Mathis ein gesuchter Aufrührer geworden.
    ***
    »… und die Häuser dort, groß wie die höchsten Bäume! Man kann sich das gar nicht vorstellen. Elisabeth meint, die Leute in Köln würden nur mit silbernen Löffeln essen. Sie selbst war auf so einem Fest, na ja, natürlich nur als Magd, aber die Löffel, die hat sie wirklich gesehen, das kann sie beschwören! Und die Töpfe und Schüsseln, die sind ganz aus Gold, sagt sie …«
    Agnes schloss die Augen, während der Wortschwall ihrer Zofe Margarethe stetig auf sie niederprasselte. Sie standen in Agnes’ Kemenate, wo die trübe Vormittagssonne durch die Fenster schien. Gelegentlich nickte die Vogtstochter, um In­teresse zu heucheln, doch ansonsten ließ sie sich von Margarethe schweigend das burgunderrote Leinenkleid mit den samtbesetzten Ärmeln ausziehen. Es war das einzige wertvolle Kleid, das sie besaß. Philipp von Erfenstein hatte es bei einem durchreisenden flandrischen Händler gekauft, der dafür ein Vermögen kassiert hatte. Nur ihrem Vater zuliebe trug Agnes es immer zum Gottesdienst, der jeden Sonntag im kleinen Kreis in der Burgkapelle abgehalten wurde.
    Da der Burgkaplan Pater Tristan, ihr Beichtvater, schon seit einigen Wochen im Kloster Eußerthal weilte, wurde er von einem jungen Mönch vertreten, der bei Agnes’ Anblick regelmäßig ins Stottern geriet. Agnes hatte den Gottesdienst, ebenso wie nun Margarethes Redefluss, stoisch über sich ergehen lassen, während ihre Gedanken wieder einmal um den seltsamen Traum kreisten, der sie vor nunmehr drei Nächten heimgesucht hatte. Das kostbare rote Kleid hatte sie wieder daran erinnert. Die prächtig gekleideten Gäste im Trifelser Rittersaal, die gesungenen Lieder, ja der ganze Traum, alles war auf so unheimliche Weise echt gewesen! Vor allem der Jüngling in dem Kettenhemd

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