Die Burg der Könige
abführen.
»Mathis! Um Himmels willen, Mathis!«, rief ihm Agnes hinterher. »Halt aus, ich werde …« Doch ihr Vater packte sie hart an der Schulter.
»Ich hab immer gewusst, dass der Bengel nichts taugt!«, schimpfte er. »Sein Vater, ja, der ist ein tüchtiger, rechtschaffener Mann. Aber der Sohn war immer ein Widerborst.« Er schüttelte den Kopf. »Lässt sich mit so einem wie dem Schäfer-Jockel ein. Du wirst sehen, Kreaturen wie dieser Bucklige werden noch Tod und Verderben über unser Land bringen!«
Agnes sah ihn nicht an. Stattdessen starrte sie Mathis nach, dessen Gestalt soeben im Inneren der Burg verschwand, aufrechten Ganges. Fast sah es aus, als würde er den Geschützmeister abführen und nicht umgekehrt.
»Schlag dir den Jungen bloß aus dem Kopf«, sagte ihr Vater mit versöhnlichem Unterton. »Der ist nichts für die Tochter eines Burgvogts, noch dazu, wenn sie auf dem stolzen Trifels lebt.« Er bemühte sich um ein Lächeln. »Darüber wollte ich ohnehin mit dir reden, Agnes. Ich habe mit Martin von Heidelsheim gesprochen, er ist ein anständiger und vor allem vermögender Mann. Ich weiß, ich hatte dir immer einen Ritter versprochen, aber die Lage hat sich nun mal geändert. Geld für eine Mitgift habe ich nicht, und Heidelsheim könnte sich vorstellen, dich auch ohne …«
»Niemals werd ich Heidelsheim heiraten, nicht nach allem, was geschehen ist! Das … das wäre mein Tod!« Agnes riss sich von ihrem Vater los und kämpfte mit den Tränen. Ihr Gesicht war eine einzige steinerne Maske.
Philipp von Erfenstein sah sie erstaunt an. »Woher weißt du …«, begann er. Doch dann straffte er sich. »Reiß dich zusammen, Kind! Ich verzeihe dir, weil du gerade nicht Herrin deiner Sinne bist. Dieser Mathis hat dir augenscheinlich den Kopf verdreht.« Er drohte ihr mit dem Finger. »Wen du heiratest, das bestimme noch immer ich, der Herr vom Trifels! Und eins lass dir gesagt sein: Deine Träumereien und Spinnereien werden ab heute ein Ende haben. Beinlinge, ein Falke und den Kopf immer in Büchern, pah! Viel zu lange hab ich das geduldet.« Beschwörend packte er Agnes bei den Schultern. »Begreifst du denn nicht, dass wir den Trifels nur retten können, wenn du einen vermögenden Mann heiratest? Es geht um das Schicksal der Burg, nicht um deines, merk dir das ein für alle Mal! Heidelsheim bekommt dich zur Frau, und damit basta!«
Weinend drehte Agnes sich um und machte sich auf den Weg zum Wohnturm. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie Margarethe, die sie mit einer Mischung aus Neugier und Spott ansah und sich dann an die Köchin Hedwig wandte, die neben ihr stand. Offensichtlich hatten die beiden Bediensteten den Schluss des Gesprächs mit angehört, nun würde es bald die ganze Burg und spätestens in einer Woche die ganze Gegend wissen. Agnes wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ging erhobenen Hauptes an ihnen vorüber.
»Dummes Kind!«, zischte Margarethe leise der dicken Hedwig zu. »Ich weiß gar nicht, was sie sich so anstellt. Der Heidelsheim ist doch eine gute Partie, und um den Mathis ist’s eh nicht schad.«
Agnes fuhr herum und hob die Hand zum Schlag, erst im letzten Augenblick besann sie sich. »Schweig!«, sagte sie kalt. »Der Mathis ist was Besseres als ihr alle zusammen!«
Damit eilte sie hinauf in ihre Kammer. Ihr war, als würde ihr Herz von einer eiskalten Faust langsam zerdrückt.
KAPITEL 4
Frankreich, Schloss Chambord im Loiretal,
3. April, Anno Domini 1524
n den Wäldern nahe Schloss Chambord preschte eine Hirschkuh durch die Büsche, gefolgt von einer Horde kläffender Hunde. Dicht dahinter erschollen Hörner, Treiber schrien und schlugen ihre Trommeln, das Getrappel vieler Pferdehufe rollte wie Donnergrollen über das Land. Die Hirschkuh blieb einen Augenblick lang stehen und hielt den Kopf in den Wind, dann schlug sie einen Bogen und verschwand im Dickicht, um nur kurz darauf an eine frisch gerodete Lichtung zu gelangen. Ein kleiner Acker war dort in den Waldboden gepflügt, auf dem zarte Getreidesetzlinge wuchsen.
Das Tier setzte zum Lauf an, leichtfüßig sprang es über die im Morgennebel dampfenden Krumen, als von irgendwoher ein leises Zischen zu vernehmen war. Ein Armbrustbolzen fuhr der Hirschkuh durch den Hals. Sie taumelte noch einige Schritte, dann stürzte sie über ihre eigenen Vorderläufe und blieb auf dem Feld liegen. Schon bald hatten die Hunde sie eingeholt.
»Ein guter Schuss, Eure Majestät«, sagte der Chevalier Guy de Montagne,
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