Die Burg der Könige
Geschützmeister zu versuchen. »Ich geb dir zwei Monate«, hatte Erfenstein geknurrt. »Wenn du mir in dieser Zeit wirklich so ein verflucht großes Feuerrohr gießen kannst, will ich dir verzeihen. Wenn nicht, wanderst du wieder ins Loch, verstanden?« Mathis war sich nicht sicher, ob Erfenstein seine Drohung wahr machen würde, doch allein die Aussicht, selbst ein Geschütz gießen zu dürfen, war für ihn wie die Verheißung des Himmelreichs.
Gleich am Morgen nach seiner Freilassung inspizierte Mathis mit Ulrich Reichhart die Geschützkammer im Ritterhaus. Die Vorräte waren üppiger, als Mathis zunächst gedacht hatte. In Kisten, Truhen oder eingeschlagen in ölige Tücher lagerten in dem Raum mehr als ein Dutzend Arkebusen, sieben sogenannte Doppelhaken und zwanzig altertümliche Faustrohre, kleine Feuerrohre mit nur geringer Reichweite. Außerdem besaß der Trifels mit drei Falkonetten einige größere Geschütze, die auch für die Erstürmung einer feindlichen Burg geeignet waren. Es gab zwei Fässer mit Schießpulver, etliche je zwei Pfund schwere Steinkugeln und vier bronzene Mörser, von denen drei jedoch so zerlöchert waren, dass Mathis sofort beschloss, sie einzuschmelzen.
Pater Tristan machte derweil sein Versprechen wahr und legte bei Abt Weigand ein gutes Wort ein. Und so durfte Mathis die beiden Öfen benutzen, die seit dem letztjährigen Glockenguss nur unweit des Eußerthalers Klosters an einem umgeleiteten Bach standen. Gemeinsam mit Ulrich, Gunther und den anderen Burgmannen nahm er einige Ausbesserungsarbeiten vor, besorgte neue Ziegel und errichtete in einem Schuppen an der Klostermauer eine Werkstatt für die weiteren Arbeiten. Schließlich begannen sie gemeinsam, aus Lehm, Leinen und Hanf einen Kern für die Form zu modellieren.
Gelegentlich kam Erfenstein von der Burg herüber ins Eußerthal und musterte schweigend die schon getane Arbeit. »Ich seh nur Dreck«, brummte er und langte mit dem Finger in den schmierigen Lehm. »Ist mir ein Rätsel, wie daraus mal ein Bronzerohr werden soll.«
»Im Grunde ist es genauso, als würde man eine Glocke gießen«, versuchte Mathis ihm zu erklären. »Damals, als die Eußerthaler Glocke gefertigt wurde, hat der Meister mir den Vorgang aufgemalt.« Er zog einige zerknitterte Pergamentbogen hervor und deutete auf ein paar hastig hingeworfene Skizzen. »Auf den Kern kommt eine Tonschicht, die sogenannte falsche Glocke, und darauf eine zweite Schicht. Das brennen wir alles, nehmen die obere Schicht vorsichtig weg und zerschlagen die falsche Glocke.« Vorsichtig steckte Mathis die Pergamentbogen weg und wischte sich den Dreck von der Stirn. »Wenn wir Kern und äußere Schicht wieder zusammensetzen, bekommen wir schließlich einen geformten Hohlraum, den wir mit der geschmolzenen Bronze füllen. Ich bin dem Meister damals immer wieder zur Hand gegangen, und auch ein paar der Mönche kennen sich damit aus. Mit Gottes Hilfe sollte es also gelingen.«
»Wie eine Glocke, wie?« Der Vogt grinste. »Das lass nur nicht den Annweiler Pfarrer hören. Das eine ist Christen- und das andere Teufelswerk.«
Mathis winkte ab. »Mit den Pfaffen und Mönchen hab ich ohnehin nichts mehr zu schaffen. Da mag dieser Luther noch so lange gegen den Papst wettern.«
Die Lehren Martin Luthers hatten mittlerweile im ganzen Land Fuß gefasst, überall in den Wirtshäusern debattierte man über Ablassbriefe und die pompösen Auswüchse in Rom, wo der Papst mit dem Geld seiner Schäflein den Petersdom neu erbauen ließ. Aber auch die drückenden Zinsen und die wachsende Ungerechtigkeit durch die Lehnsherren ließen die Menschen allerorten murren – auch im Wasgau, wo der geflohene Schäfer-Jockel heimlich auf Waldlichtungen vor immer größeren Menschenmengen die Rebellion predigte.
Der Annweiler Vogt schien die Suche nach Mathis aufgegeben zu haben, er und seine Büttel waren seit dem letzten Mal im März nicht mehr in der Gegend aufgetaucht. Und solange Mathis auf dem Gelände des Klosters oder des Trifels weilte, konnten ihm die Stadtwachen ohnehin nichts anhaben, er durfte sich nur nicht in Annweiler blicken lassen. Doch Mathis’ größte Sorge galt nicht der drohenden Festnahme, sondern seinem Vater, der noch immer hustend im einzigen Bett des Trifelser Schmiedhauses lag und kaum die Kraft hatte, sich zu erheben. Manchmal spuckte er blutig roten Schleim, er sah von Tag zu Tag eingefallener aus, und an Arbeit war schon lange nicht mehr zu denken. Als Hans
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