Die Burg der Könige
untergehenden Sonne von seinem Rappen. Hinter ihm, halb verborgen im Schatten des Hebammenhäuschens, warteten zwei weitere, wild aussehende Männer auf ihren Pferden.
Als der Fremde sich langsam umdrehte und in ihre Richtung sah, legte Elsbeth die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Der Mann war in kostbare schwarze Stoffe gekleidet und trug ein schwarzes Barett, doch die Haut darunter war fast ebenso schwarz, genau wie der Hals und die feingliedrigen Hände. Noch nie hatte Elsbeth einen solchen Menschen gesehen. Es gab Geschichten über Leute mit dunkler Haut, sie lebten weit im Süden, wo es auch zweiköpfige Löwen und Menschenfresser gab. Der schwarze Mann musste also von weither kommen. Er und seine Begleiter statteten ihr sicherlich keinen harmlosen Besuch ab, um irgendein Kräutlein gegen Husten oder Schnupfen zu kaufen. Die Hebamme zitterte am ganzen Leib. Nun war tatsächlich eingetroffen, was sie schon seit vielen Jahren befürchtet und wovor sie die Bruderschaft erst vor gut zwei Wochen gewarnt hatte.
Die Feinde waren zurückgekommen.
Elsbeth war in ihrem kleinen Garten vor dem Haus zugange gewesen, als sie das Hufschlagen und Wiehern von Pferden gehört hatte. Ihre Hütte befand sich zwar mitten im Wald und wurde von einem wilden Dickicht aus Weißdorn- und Brombeerbüschen geschützt, aber die Straße nach Waldrohrbach war nicht weit entfernt. Von dort aus führte ein kleiner Trampelpfad zu ihr. Es waren meist einfache Leute, die zu ihr kamen – Gerber, Leinweber oder Bauern, die sich die teuren Arzneien beim Annweiler Apotheker Sperlin nicht leisten konnten. Über ein prächtiges Pferd verfügte sicher keiner ihrer Patienten, und so hatte ein gesundes Maß an Misstrauen Elsbeth hinter die Büsche getrieben.
Das und eine gewisse Vorahnung.
Geduckt starrte die Hebamme auf den Fremden mit dem schwarzen Barett. Auch die beiden anderen Reiter waren mittlerweile abgestiegen und ließen ihre Pferde in Elsbeths kleinem Gemüsegarten die noch winzigen Kohlblätter fressen. Am Gürtel des Dunkelhäutigen baumelte ein Säbel; die fließenden Bewegungen, mit denen er sich nun der Hütte näherte, verrieten die soldatische Ausbildung. Ein letztes Mal glitt sein Blick über den Garten, dann klopfte er an die schiefe Tür des Häuschens.
»Heda, jemand da?« Seine laute, befehlsgewohnte Stimme hatte einen merkwürdigen Akzent.
Als niemand öffnete, trat der Mann schließlich fluchend mit dem Fuß gegen die Tür. Krachend schwang der morsche Flügel auf, und der Fremde betrat die niedrige Hütte. Die beiden Männer folgten ihm. Elsbeth konnte nicht sehen, was drinnen vor sich ging, doch sie hörte sie umhergehen. Schüsseln und Teller klapperten, dann wurden Bett und Truhe verschoben. Die Fremden suchten etwas, und Elsbeth ahnte bereits, was es war. Jemand musste ihnen verraten haben, wo sich der Ring befand! Nur wer? Allein die Mitglieder der Bruderschaft wussten, dass sie die Ringhüterin war. Gab es also einen Verräter unter ihnen? Oder hatten die Männer bereits einen von ihnen gefoltert und ihm das Geheimnis abgepresst? Elsbeth Rechsteiner schlug ein Kreuz und sprach ein lautloses Dankgebet, dass sich der Ring nicht mehr bei ihr befand.
Herr im Himmel, du hast mich sicher den weiten Weg geführt! Weiche auch jetzt nicht von mir!
Nach dem Treffen der Bruderschaft in ihrer Hütte war sie hin- und hergerissen gewesen zwischen Angst und Pflichtgefühl. Als noch am selben Abend der Falke aufgetaucht war, hatte sie dies als Wink Gottes verstanden und ihm den Ring anvertraut. Der Vogel kam ihr vor wie ein Bote aus einer anderen Zeit. Es gab Menschen, die Elsbeth vorwarfen, sie sei eine Hexe, nur weil sie sich mit Kräutern auskannte. Das war natürlich Unsinn. Jäger, Köhler, Hirten und Holzfäller – viele Menschen, die in den Wäldern unterwegs waren, verstanden etwas von der Kraft der Pflanzen. Doch manchmal fragte sich Elsbeth, ob sie vielleicht wirklich die Fähigkeit besaß, die man das Zweite Gesicht nannte. Seit ihrer Kindheit ahnte sie Dinge voraus, die dann tatsächlich eintrafen, oder eine innere Stimme forderte sie auf, etwas Bestimmtes zu tun. Es war jene Stimme gewesen, die sie auch ermahnt hatte, dem Falken den Ring aufzustecken. Dieselbe Stimme, die sie nun vor den Fremden gewarnt hatte, bereits Augenblicke bevor das Wiehern der Pferde überhaupt zu hören gewesen war.
Nach einer Weile traten die Männer wieder vor die Tür. Elsbeth hoffte, sie würden nun auf ihre Pferde
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