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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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letzten Funde angehört hatte, noch einmal mit Nachdruck: Hör auf, immer weiter zu suchen, liebe Elsa, du hast schon alles, jetzt fang an zu schreiben.
    Wie recht du hattest, lieber Juanjo, es war an der Zeit, mich aus dieser Falle zu befreien. Natürlich wusste ich, dass man zum Erinnern auch Vorstellungsvermögen braucht, doch der Respekt vor meinen Figuren, die so durch und durch ihrer Zeit verpflichtet waren, war so groß, dass ich wie gelähmt war und zusah, wie sich diese fremde Geschichte in alle Richtungen auswuchs. Die vielen unveröffentlichten Dokumente, die verblüffenden Manuskripte, die ich gefunden hatte, zogen mich in ihren Bann, redeten mir auf hinterlistige Weise ein, ich müsse immer noch weitere Nachforschungen anstellen, mehr Daten einholen, mir die Orte ansehen, an denen sie gelebt hatten, Gespräche führen, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften durchforsten, Bibliotheken in allen möglichen Städten durchstöbern, Stadtpläne aus den Dreißigerjahren studieren. Unbehagen, Überdruss überfielen mich, und ich packte alles zusammen in eine Schachtel und vergaß es, nie würde ich alles in Erfahrung bringen, alles verstehen können, so als wüsste ich nicht, dass man zum Schreiben gar nicht alles wissen, gar nicht alles verstehen muss. Genau das ist es: Im Prozess des Schreibens wird man zum Entdecker. Wie eine Seiltänzerin tastete ich mich also immer weiter vor auf einem Seil aus Fakten, das immer länger, immer dicker wurde, gleichzeitig aber weiterhin tückisch war, bis mir der Anblick von Mikas Haus in Péri-gny, das genauso in Vergessenheit versunken war wie ihr Leben, mir den Absprung ermöglichte.
    Ich schrieb eine lange Mail an Juanjo, die die Keimzelle dieses Romans wurde. Aber er konnte sie nicht mehr lesen, denn am selben Nachmittag im März 2007, als ich ergriffen durch den von der Zeit überwucherten Garten in Périgny streifte, mit offenen Sinnen für den Duft der Blumen von damals, beseelt von dem Bedürfnis, Mikas Geschichte zu erzählen, starb in Buenos Aires Juan José Hernández.
    Wenige Tage nachdem er mich im Jahr 1986 auf Mika aufmerksam gemacht hatte, hatte ich Ma guerre d’Espagne à moi , Mikas Kriegserinnerungen, verschlungen, die 1975 bei Denoël in Frankreich erschienen waren. Wie war es möglich, dass ich, eine Argentiniern wie Mika, noch nie etwas von dieser so außerordentlichen Geschichte gehört hatte? Von dieser Art weiblicher Che Guevara?
    Um wiedergutzumachen, dass man sie so zu Unrecht vergessen hatte, veröffentlichte ich 1988 einen Artikel in der Zeitschrift Crisis . Bist du Trotzkistin?, wurde ich gefragt. Nein, antwortete ich, ihr Leben interessiert mich. Das Leben einer Trotzkistin?, bohrten sie weiter. Über solche Barrieren im Kopf bin ich auf meiner Suche noch des Öfteren gestolpert. Steine, die nicht so leicht aus dem Weg zu räumen sind, die sich mit der Zeit zu einer verkanteten Mauer aufgetürmt haben, weswegen Persönlichkeiten wie Mika – und viele andere Antifaschisten, die sich auf das große intellektuelle und revolutionäre Abenteuer des zwanzigsten Jahrhunderts eingelassen haben – um ihre wahre Bedeutung gebracht werden. Keine einzige Partei oder politische Gruppierung gibt Mikas heldenhaftes Leben kommenden Generationen als Vermächtnis weiter. Mika Etchebéhère ist eine der großen Vergessenen der Geschichte.
    Anarchistin, Kommunistin, Trotzkistin, linke Oppositionelle des Stalinismus, Angehörige der Gruppe Que faire , Mitglied des POUM ? Keine dieser Zuweisungen, überhaupt kein fester Begriff konnte Mika in ihrer Gesamtheit erfassen. Alle diese wie Fliegen um mich herum summenden Namen machten mir Angst. Meine Lebenszeit würde nicht ausreichen, um alle Verbindungen und Brüche, Annäherungen und Verrate zu ergründen. Allein den POUM zu verstehen war keine leichte Aufgabe. Um nicht tatsächlich alles aufzugeben, musste ich zu meiner anfänglichen Faszination zurückfinden, die diese Geschichte, als ich noch vollkommen unbeleckt war, in Juan José Hernández’ klar gewobener Erzählung auf mich ausgeübt hatte. Ein Schriftsteller, der fiktionale Texte schrieb, hatte mir die Aufgabe gestellt, und ich hatte sie angenommen.
    1990 veröffentlichte ich einen weiteren Artikel über Mika in der von Félix Luna herausgegebenen Zeitschrift Todo es historia . Ich erinnere mich nicht mehr, warum ich darin die zweite Person Singular gewählt habe – die so wenig angemessen ist für einen journalistischen Text –, jedenfalls sprach ich

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